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Die Vorankündigungs-Veröffentlichungs-und-Gerüchte-Küche (Teil 2)
Mephisto antwortete auf Marcus Stöhrs Thema in Scores & Veröffentlichungen
Oh, wow! Die SAE/CRS/BYU-CDs habe ich alle- und freue mich über jeden Neuzugang. Schön, dass sich da wieder etwas tut. -
Das stimmt - LE TRAIN habeich vergangenen Herbst gesehen und hatte das Thema nicht mehr im Kopf, ergibt ja "thematisch" Sinn Heute gab es für mich eine kleine Überraschung: Das Langfilmdebüt von Alexandra Leclère - LES SŒURS FÂCHÉES - ist ein kleine Perle. In den tragikomischen Film laufen die Hauptdarstellerinnen Isabelle Huppert und Catherine Frot zu Höchstform auf. Die Kosmetikerin Lousie besucht ihre Schwester Martine in Paris, weil sie einen Vertrag mit einem Verleger über ihren ersten Roman abschließen möchte. Die reich, aber unglücklich verheiratete Martine versucht konsequent, ihre provinzielle Vergangenheit und die Kindheit mit einer lieblosen alkoholkranken Mutter zu verdrängen. Louise, die sie an diesen verhassten Teil ihres Lebens erinnert, begegnet sie mit Ablehnung, teilweise auch kalten Hass. Martine ist über die Jahre verbittert, während Louise in der Provinz einen zweiten Frühling erlebt und nun ihrem Erfolg als Schriftstellerin entgegensieht. Drehbuchautorin und Regisseurin Alexandra Leclère hat viel unternommen, um die Widersprüche in dem Geschwisterverhältnis herauszuabeiten: Martine wohnt in einer geräumigen Wohnung in Paris, sie muss nicht arbeiten und verfügt über ein Dienstmädchen, hat offenbar kein Interesse für ihren Mann, ihren Sohn oder ihre Schwester, ihre beste Freundin besitzt eine Kunstgallerie, aber sie interessiert sich nicht dafür. Alle Beigaben der bürgerlichen Fassade - Kunst, Kultur, eine heile Familie - sind nur Etiketten und Statussymbole. Louise verkörpert oberflächlich genau das Gegenteil: Sie wohnt in der Provinz, sie lebt vom Vater ihres Sohnes getrennt, aber es wird offenbar, dass sie ihren Sohn, ihre Schwester und ihren Neffen liebt. Sie kann sich für bildende Kunst begeistern und ist von der Oper gerührt, neben ihrem Beruf als Kosmetikerin wird sie auch noch eine erfolgreiche Schriftstellerin. Kein Wunder, dass sich in Martines Verbitterung über das eigene unerfüllte Leben auch noch der Neid mischt - vor allem, da ihr soziales Umfeld sich nach anfänglichen Berührungsängsten durchaus für die lebensfrohe Louise begeistern kann. LES SŒURS FÂCHÉES bespielt die üblichen Szenarien und Schausplätze französischer Gesellschaftskomödien: Die Kunstgalerie, das feine Restaurant und das festliche Diner in der schicken Altbauwohnung, das außer Kontrolle gerät. Dies geschieht aber mit so viel Verve und Spielfreude seitens der Darsteller, dass es ein Genuss ist, den Beteiligten zuzuschauen. Als reine Komödie würde ich den Film nicht bezeichnen wollen, denn es gibt mehrere ernste und sogar eine wirklich verstörende Szene. LES SŒURS FÂCHÉES ist definitiv ein sehenswerter Film. Philippe Sarde komponierte eine gute halbe Stunde Musik für LES SŒURS FÂCHÉES, die vor allem im ersten Drittel sehr prominent zur Geltung kommt, wenn Louise in Paris eintrifft und die später die Stadt erkundet. Von der Grundstimmung her erinnern die leichtfüßigen und vergnügten Klänge ein bisschen an seine Vertonung von GARÇON!. Dabei bleibt die Musik immer elegant und raffiniert instrumentiert, nie rutscht sie in platte "Komödienmusik" à la Vladimir Cosma ab. Zum Filmstart erschien eine CD von Universal France mit wahrscheinlich den kompletten Aufnahmen für den Film. Wie der Film war auch diese Musik für mich eine Überraschung, die ich ohne Sarde definitiv verpasst hättte.
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Das fand ich ebenso beeindruckend, dass Sarde zu einem so belanglosen Film doch noch eine so "gehobene" Musik komponiert hat, obwohl er seinen Zenit schon überschritten hatte. Umso besser, dass LE FILS PRÉFERÉ noch gelungener ist. Heute wieder Téchiné: LES ÉGARÉS entstand genau 30 Jahre nach LE TRAIN und bildet den zweiten Eintrag in Philippe Sardes Filmographie, in dem die Flucht der Bevölkerung vor den deutschen Eroberern anhand von Einzelschicksalen geschildert wird. Während aber die Figuren in LE TRAIN aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zusammengewürfelt sind und sich nahezu ständig in Bewegung befinden, konzentriert sich die Handlung von LES ÉGARÉS allein auf vier Figuren: Die junge Witwe Odile entgeht mit ihrer kleinen Tochter Cathy und ihrem Sohn Philippe auf dem Fluchtweg nur knapp einem deutschen Bombardement, bei dem sie ihr Auto und all ihr Hab und Gut verlieren. Schnell gesellt sich der jugendliche Landstreicher Yvan zu der Familie, die Unterschlupf in der luxuriösen verlassenen Villa eines Komponisten findet. Yvan wird schnell zum Ernährer der Familie, da er weiß, wie man im Wald Fallen legt oder im nahe gelegenen Bach Fische fängt, doch Odile bleibt misstrauisch. Philippe sieht in Yvan den älteren Bruder, den er sich wünscht, aber er wird von ihm brüsk abgewiesen. Trotz dieser Spannungen verleben die vier in der friedlichen Umgebung nahezu unbeschwingte und vom Krieg völlig abgeschottete Tage, bis zwei Soldaten in der Villa eintreffen. LES ÉGARÉS ist ein reifes Alterswerk von André Téchiné, der auf die exaltierten Gesten seiner früheren Filme BARROCCO oder RENDEZ-VOUS verzichtet. Es gelingt allen Beteiligten, ein atmosphärisch dichtes und stimmungsvolles Drama zu kreieren. Emmanuelle Béarts Darstellung der jungen, teils überforderten Witwe, die versucht, sich gegenüber ihren Kindern nichts anmerken zu lassen und sich gegenüber Yvan zu behaupten, ist beeindruckend - ebenso das Spiel von Gaspard Ulliel als Yvan sowie die Leistungen der Kinder Grégoire Leprince-Ringuet und Clémence Meyer. Die luxuriöse Villa trägt viel zur Atmosphäre des Films bei, ebenso die prachtvolle und farbenreiche Sommerlandschaft mit den goldenen Weizenfeldern, rauschenden Bächen und Bäumen in sattem Grün. Der Krieg, dessen schreckliche Auswirkungen man in den ersten Minuten erlebt, verblasst schnell zu einer alptraumhaften Erinnerung und der Film konzentriert sich ganz auf die zwischenmenschlichen Spannungen. Wie bei vielen späten Filmen von Téchiné gibt es nicht viel Musik in LES ÉGARÉS. Hauptsächlich ein melancholisches, typisch französisch anmutendes Thema kehrt - wahrscheinlich immer in derselben Aufnahme - wieder. Mir ist auch nicht bekannt, ob Philippe Sarde für diesen Film tatsächlich Originalmusik komponiert hat, denn auf der CD-Veröffentlichung finden sich die Aufnahmen zu L'ADOLESCENTE aus dem Jahre 1979, wahrscheinlich weil Téchiné auf diese Aufnahmen für LES ÉGARÉS zurückgegriffen hat. Das Liebesthema aus L'ADOLESCENTE hat Sarde übrigens schon zwei Jahre später in GHOST STORY wieder aufgegriffen.
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Danke, Stefan, für all die Anmerkungen! Ich habe mir jetzt auch ein paar Musiken notiert, die ich abseits der Filme entdecken möchte: ALICE ET MARTINE ist ebenso dabei wie LES VOLEURS. Da vor allem die Téchiné-Filme für mich greifbar waren, wird es zum Ende hin eine halbe Téchiné-Retro, die jetzt aber kurz unterbrochen wird. MADEMOISELLE ist ein Film, der sich regelrecht darum bemüht, unbedeutend zu bleiben und auch inhaltlich keine größeren Ausschläge wagt. Es ist die "harmlose" Geschichte einer Pharmavertreterin, die nach einem Kongress auf ihrer Heimreise auf unterschiedliche Weise aufgehalten wird: Mal verpasst sie ihren Bus, dann hat sie ein wichtiges Gespäckstück vergessen und so weiter. Zwischen Ausgangspunkt und Ziel kreuzen sich ihre Wege mit einem Schauspieltrio bestehend aus dem Pärchen Alice und Karim sowie Pierre, die auch auf dem Kongress mit raffinierten und kreativen Improvisationen für Unterhaltung gesorgt hat. Über Umwege landet Claire auf der Hochzeitsfeier eines reichen Unternehmers, auf dem das Trio auftreten soll, und wird von Pierre promt in den Auftritt hineingezogen, was zum Streit zwischen dem Trio führt. Da Claire wiederholt ihren Zug verpasst hat, übernachtet sie bei Pierre im Zimmer. Für diese eine Nacht sind die beiden ein Liebespaar, am nächsten Tag muss Claire wieder zurück zu ihrer Familie. Ich denke, dass es für diese Art Filme eine Zielgruppe gibt, ich gehöre nicht dazu. Dennoch kann ich anerkennen, dass MADEMOISELLE sorgfältig inszeniert und gut gespielt ist. Die Handlung entwickelt sich unaufgeregt, es geht hier nicht um existenzielle Probleme, Obdachlosigkeit, Vatermord, organisiertes Verbrechen oder Kriegsverbrechen. Eine verheiratete Frau des Mittelstands lässt sich auf eine leidenschaftliche Affäre ein und zieht dann ihrer Wege. Es ist interessant, dass in diesem Film der Mann deutlich stärker in die Affäre involviert ist, während die Frau hier einen folgenlosen Seitensprung unternimmt. Es gibt einige sehr schön ausgearbeitete Momente, mir gefiel besonders die Ankunft im Hotel, in der die junge Hotelangestellte Pierre und Claire irrtümlicherweise für ein Brautpaar hält und auf die beiden ihre ganzen romantischen Träumereien projiziert. Der Film ist mit 72 Minuten immerhin ziemlich kurz und er will auch nicht mehr sein, als er ist - er ist nur ziemlich wenig. Philippe Sarde steuerte zu MADEMOISELLE rund 20 Minuten Musik bei. Würde man seine Komposition losgelöst vom Film hören, man würde nicht vermuten, dass sie zu so einem belanglosen Filmchen komponiert wurde, denn Sarde ging hier wieder einmal mit größter Behutsamkeit und Raffinesse vor. Obwohl das London Symphony Orchestra als Klangkörper gelistet ist, klang die Musik für mich sehr kammermusikalisch. Sanfte Holzbläserlinien über reiche, von Harfenklängen durchzogene Streichharmonien prägen das Klangbild dieser feinen ausdifferenzierten Musik, die zumindest was die Harmonien angeht, ihre Wurzeln im französischen Impressionismus hat. Darüber hinaus arbeitete Sarde mit einem Jazz-Trio, bestehend aus Saxophon, Klavier und Bass zusammen, das vor allem ein paar Source-Stücke für die Hochzeitsfeier beisteuerte. Die komplette Musik wurde von Musicbox Records zusammen mit LE FILS PRÉFÉRÉ veröffentlicht und dürfte abseits des Films ein sehr stimmungsvolles und schönes Hörerlebnis bieten.
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Das ist wirklich eine interessante und auch etwas verschwenderische Praxis. Aber vielleicht hat Sarde das auch als eine schöne Möglichkeit gesehen, innerhalb eines bestimmten Rahmens (Besetzung, Sujet) frei komponieren zu können und die Musik auch so eingespielt zu bekommen. Er musste es ja gut mit seinem Ego vereinbaren können, dass die Regisseure dann so wenig von der Musik verwenden, aber das schien ja kein Problem gewesen zu sein, sonst hätte er das ja nicht immer wieder mitgemacht. Es ist schon interessant, wie sich Téchinés Filme unterscheiden, man kann ja auch BARROCCO kaum mit LES SŒURS BRONTË vergleichen. Und wo wir schon beim Thema sind: Wenn der männliche Protagonist aus ALICE ET MARTIN zu Beginn des Films obdachlos und scheinbar orientierungslos durch die französische Pampa irrt, ist dies eine Antizipation des Films und der Seherfahrung, die dieser beim Publikum auslöst. Auch wenn die Figuren teilweise Halt finden, so reißt das Leben sie wieder los. Sie schrammen an Klippen vorbei, steuern auf Abgründe zu und als Zuschauer weiß man nicht, wo die (Lebens-)Reise des jungen Protagonistenpaares hinführen soll, welche Katastrophen noch auf sie lauern. Nach einem tödlichen Unfall im Elternhaus flieht der junge Martin nach Paris, um Unterschlupf bei seinem schwulen Halbbruder, einem erfolglosen Schauspieler, und dessen Mitbewohnerin Alice, einer erfolglosen Violonistin, zu suchen. Bald wird er als Model für Werbekampagnen entdeckt und kann ein luxuriöses Leben führen. Er beginnt eine Beziehung mit Alice, aber die Schatten der Vergangenheit und die mysteriösen Umstände um den Tod seines Vaters lassen ihn nicht los. ALICE ET MARTIN ist ein mitreißendes Drama, in dem zwei junge verliebte Menschen sich mit aller Kraft gegen die unwirtlichen Umstände ihres Umfeldes und ihrer eigenen Geschichte stemmen - und die zur ungleichen Zeit um einander und die Liebe kämpfen. Ich war von dem Film sehr beeindruckt, zumal ich nie wusste, wohin sich das ganze entwickeln wird. Darüber hinaus trägt die komplizierte Familiengeschichte von Martin und das merkwürdige Verhältnis zwischen Benjamin und Alice trägt zur unberechenbaren Dynamik des Films wesentlich bei. Philippe Sarde komponierte wieder einmal viel mehr Musik als schließlich im Film Verwendung fand. Zum Filmstart erschien eine CD mit insgesamt 12 Stücken, wobei 10 davon von Sarde stammen dürften. Im Film schien mir, als ob Sarde seine Musik ausschließlich für Streicher arrangiert hat. Zu hören sind schroffe Klänge, die ein bisschen an LES VOLEURS erinnern, aber auch getragene Passagen, in denen ein paar Anklänge an Johann Sebastian Bach in den Mittelstimmen durchklingen. Dies ergibt Sinn, beschäftigt sich Alice doch mit Bachs Violinkompositionen. Außerdem schlägt sich ihre Beschäftigung in einem Tangoensemble auch musikalisch nieder. Insgesamt ist ALICE ET MARTIN ein sehr sehenswerter Film und auch die zu hörende Musik scheint Sardes üblichen hohen Standard wieder einmal zu belegen.
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Interessant - das habe ich natürlich nicht wiederkannt nahc all den Wochen. Es wäre wirklich interessant, mal ein Diagramm mit den ganzen Querverweisen, Zitaten etc. zu erstellen. Und dann noch die teils verwirrenden Veröffentlichungen... Heute noch ein Téchiné: LES VOLEURS folgte für mich einigen Prinzipien von MA SAISON PRÉFÉRÉE. Beide Filme kreisen um einen Familienkonflikt, verfügen durch die Einteilung in Kapitel über eine klare äußere Struktur und sind dezent und zurückhaltend inszeniert - auch in der Besetzung gibt es zwischen beiden Filmen Überschneidungen. Während MA SAISON PRÉFÉRÉE mich aber ziemlich gelangweilt hat, fand ich LES VOLEURS weitaus interessanter. Das liegt zum einen daran, dass die Struktur in MA SAISON PRÉFÉRÉE - jedes Kapitel spielt zu einer anderen Jahreszeit - eigentlich nur eine hübsche Beigabe ist, während bei LES VOLEURS die Episoden zeitlich nicht linear aufeinanderfolgen und zudem aus der Perspektiver unterschiedlicher Figuren erzählt werden. So fügt sich das Puzzle erst nach und nach zu einem konzisen Gesamtbild. Zusätzlich ist dümpelt die Handlung nicht in den banalen Mittelschichtsproblemen vor sich hin, sondern repräsentieren die unterschiedlichen Familienzweige verschiedene Lebensmodelle, in denen ein existenzieller Konflikt angelegt ist. Im Mittelpunkt der Handlung steht wie schon in MA SAISON PRÉFÉRÉE der Konflikt zweier Geschwister. Ivan ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und verdient sich seinen großspurigen Lebensunterhalt mit organisiertem Verbrechen. Sein Bruder Alex hingegen wurde Polizeikomissar. Der Familienkonflikt verschärft sich, als Alex ein Verhältnis mit der jungen Juliette beginnt, die die Schwester von Ivans rechter Hand, Jimmy, ist. Der Film beginnt damit, dass Ivans Leichnamn nach einem missglückten Raubzug nach Hause gebracht wird. Nach und nach beleuchtet der Film die Ereignisse, die zu Ivans Tod geführt haben, wobei sich ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren entfächert. Philippe Sarde komponierte die Musik zu LES VOLEURS für Streichquartett. Wie so oft nahm er weitaus mehr Musik auf, als schließlich im Film zu hören ist. Die im Film zu hörenden Stücke waren für mich in einer überraschend schroffen Tonsprache gehalten, wobei die ruppigen Gesten gerade durch die solistisch besetzten Streichinstrumente besonders zur Geltung kamen. Da ich mit Sarde eher eine impressionistische und lyrische Tonsprache assoziiere, war ich durchaus überrascht. Die ausgewählte Musik passt perfekt zum Film und wie schon in RENDEZ-VOUS lässt Téchiné die Grenze zwischen Sourcemusik und externer, also hinzugefügter Film-Musik, verschwimmen, indem man nicht immer genau weiß, ob die Musik nicht auch für die Figuren hörbar ist. Es handelt sich mit LES VOLEURS jedenfalls um eine sehr gelungene Zusammenarbeite zwischen Téchiné und Sarde. Zum Filmstart erschien eine CD, die mit einigen im Film zu hörenden Songs eröffnet, daraufhin folgen 10 "Mouvements", die wahrscheinlich die komplette von Sarde komponierte Musik repräsentieren. Meinem Eindruck aus dem Film nach lohnt es sich auf alle Fälle, hier ein Ohr zu riskieren!
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Ah, danke für die Erläuterung! Ich kann mich tatsächlich nicht mehr an ein Glockenspiel erinnern. Heute nochmal Sautet! NELLY ET MONSIEUR ARNAUD ist eine weitere auf Zelluloid gebannte Altherrenphantasie eines alternden Regisseurs. Anders als bei Brian de Palma, der seine Darstellerinnen konsequent mit antiquierten 80er-Erotismen wie Strapsen inszeniert, bezieht sich meine Altherrenassoziation hier vor allem auf die Tatsache, dass bei Sautet nicht selten alte Männer überraschend junge und attraktive Freundinnen haben, so zum Beispiel Yves Montands Oberkellner in GARÇON! - und nun eben der alte, pansionierte Richter und Geschäftsmann Pierre Arnaud, der über eine gemeinsame Bekannte die junge Nelly kennenlernt und sie als Sekretärin und Lektorin für sein autobiographisches Buchprojekt anstellt. Allerdings entwickelt sich keine Beziehung zwischen den beiden, auch wenn angedeutet wird, dass sich aus dem ersten persönlichen Interesse bald Gefühle entwickeln. Arnaud fragt Nelly über ihre Beziehung aus und gibt nach und nach mehr von sich preis. Zum Schluss wird klar, dass die beiden sich ineinander verliebt haben, aber da ist es vielleicht schon zu spät. Wie viele andere Sautet-Filme plätschert auch NELLY ET MONSIEUR ARNAUD ereignislos dahin. Nelly trennt sich von ihrem Mann, beginnt eine Beziehung mit Arnauds Verleger, wird eifersüchtig, als ihr Ex eine neue Beziehung hat, Arnaud mischt sich ein, kommentiert - und so geht das dann unaufgeregt fast zwei Stunden hin und her. Natürlich gibt es viele Zwischentöne und Nebenschauplätze, zum Beispiel verkauft Arnaud seine wertvolle Büchersammlung. Nach und nach leeren sich die Regale, während sich die neuen Seiten seines Buches unter Nellys flinken über die Tastatur huschende Finger füllen. Es wird über Dramaturgie gesprochen, Arnauds Vergangenheit als skrupelloser Geschäftsmann kommt ans Licht, aber man ist schon zu gelangweilt, um selber dei Mühe aufzubringen, all diese Bedeutungsebenen auf die nichtige Handlung und das uninteressante Beziehungsgeflecht der Figuren zu beziehen. Philippe Sardes Musik gehört zu den wenigen Lichtblicken des Films, ist aber sehr rar gesäht. Für Ensemble aus Streichern und Holzbläsern geschrieben, ist die Musik dunkel und unruhig gehalten. Vor- und Abspann unterlegte Sarde mit drängenden Streicherbewegungen und verhaltenen Holzbläserlinien, die weniger lyrisch anmuten als seine cantabilen Chansonmelodien, die er einst für Sautets Filme schrieb. Im Film finden sich noch drei weitere kurze Stücke, die ebenfalls filigran, aber ruhiger gestaltet sind, um eine getrübte, unsichere Stimmung zu evzozieren. Wie so oft komponierte Sarde mehr Musik, als im Film zu hören ist. Die gut 5 Minuten auf dem Sautet-Sampler von Universal France dürften wahrscheinlich die vollständige im Film zu hörende Musik abdecken. Quartet Records veröffentlichte zusammen mit LES CHOSES DE LA VIE dann eine fast doppelt so lange Suite, die wahrscheinlich die gesamten Aufnahmen enthält, die Sarde für den Film machte. In seinem "Spätwerk" ist NELLY ET MONSIEUR ARNAUD" ein kleines Juwel - leider ganz im Gegensatz zum Film.
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Gut zu wissen, danke für die Empfehlung! Zu MA SAISON PRÉFÉRÉE gibt es nicht viel zusagen - besonders in einem Sarde-Thread. Zwar wird der Komponist in André Téchinés zweistündigem Familiendrama unter "Musikalische Adaption" im Vorspann gelistet, aber soweit ich mitbekommen habe, gibt es im Film keine Originalmusik von ihm zu hören, vielmehr eine Auswahl an zeitgenössischer Popmusik, die größtenteils als Source-Musik erklingt. Daher ist mir nicht klar, was Sarde zu diesem Film als Komponist beigetragen hat. Der Streifen selber wurde überwiegend gefeiert und war auch ein Publikumserfolg. 35 Jahre später wirkte der Film mit seiner zurückhaltenden Inszenierung aber eher wie ein ARD-Mittwochfilm. Im Zentrum der Handlung steht das Verhältnis der beiden Geschwister Emilie und Antoine - sie eine erfolgreiche Anwältin, er ein Hirnspezialist. Das Verhältnis zwischen den beiden ware in der Kindheit und Jugend anscheinend sehr vetraut, aber Antoines exzentrische Art und Emilies bürgerliche Lebensführung trieben schließlich einen Keil in die Beziehung, die bei der Trauerfeier des Vaters schließlich wegen Antoines Verhalten zerbrach. Als die Mutter der beiden gesundheitliche Probleme bekommt, nimmt Emilie die alte Frau bei sich auf und sucht auch wieder den Kontakt zu Antoine, mit dem sie sich wieder annähert. Auch die Mutter Berthe steht wie Antoine kritisch zu Emilies bürgerlicher Lebenswelt, die sich zusehends als Fassade entpuppt. Auch in ihrer Familie mit der Tochter Anne und dem Adoptivsohn Lucien kümndigt sich eine ähnliche Dynamik wie zwischen Emilie und Antoine an. Und so folgen wir zwei Stunden lang in vier unterschiedlich langen Kapiteln Berthe, Antoine und Emilie durch ihr zerrüttetes Familienleben und ihre wechselhaften Beziehungen. Von den exzentrischen Gesten aus BAROCCO und RENDEZ-VOUS ist hier nichts mehr zu spüren, alles soll möglichst subtil gestaltet sein und dadurch zieht sich der Film, ohne dass man das Gefühl hat, dieser Film kann den eigenen Erfahrungen und Querelen, die man in der eigenen Familie hat, irgendetwas hinzufügen oder einen zum Nachdenken und Reflektieren einladen. Man gibt auch schnell die Hoffnung auf, dass noch irgendetwas interessantes passieren könnte, denn mit der "Schlägerei" am Weihnachtsabend ist der dramatische Höhepunkt schnell erreicht.
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Ich hatte nicht allzu viele Erwartungen an MUSIC BOX, schließlich zeichnete Autor Joe Eszterhas vor allem für Erotikthriller wie BASIC INSTINCT, JADE oder SLIVER verantwortlich. Ein Film über eine Anwältin, deren aus Ungarn imigrierter Vater beschuldigt wird, als Einheitsmitglied der Pfeilkreuzler grausame Kriegsverbrechen an Juden sowie Sinti und Roma begangen zu haben, schien mir jedenfalls nicht in sein eigentliches Raster zu passen. Doch MUSIC BOX überzeugt auf ganzer Linie. Jessica Lange spielt die Anwältin Ann Talbot, die die Verteidigung ihres Vaters Mike Laszlo, gespielt von Armin Müller-Stahl, übernimmt. Der Film changiert auf eine beeindruckende Weise zwischen Familiendrama und Gerichtsfilm, wobei die innere Zerrissenheit der Protagonistin hervorragend ausgearbeitet ist. Auch das Publikum weiß nicht, ob die Anschuldigungen gerechtfertigt sind, aber im Laufe des Gerichtsprozesses verhärtet sich der Verdacht zusehends. Die bestellten ungarischen Augenzeugen sind alt, es scheint leicht, ihre Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, aber schnell wird man misstrauisch: Ist der bescheidene, fleißige Familienvater doch das Monster, als das er von den Zeugen beschrieben wird? Ich halte MUSIC BOX für einen wichtigen und eindrucksvollen Film. Es ist interessant, dass mich in dieser Sarde-Retro ausgerechnet einer der wenigen Hollywoodfilme so beeindruckt und begeistert hat. Teilweise wurde ich misstrauisch: Sind es doch die antrainierten Sehgewohnheiten, deretwegen ich zwischen den unterkühlten Téchiné- und Sautet-Filmen gerade bei MUSIC BOX auf meine Kosten gekommen bin? Oder handelte es sich hier einfach um einen Glücksgriff? Schließlich ist Regisseur Costa-Gavras ein griechisch-französischer Filmemacher, auf dessen Werke ich jetzt neugierig geworden bin. Musikalisch ist dieser Film allerdings nicht hollywoodtypisch gestaltet, was wiederum an Philippe Sardes Vertonungsansatz liegt. Wie so oft ging er mit seiner Musik den zentralen Aspekten des Films "auf den Grund", denn obwohl die ersten drei Viertel des Films ausschließlich in Amerika spielen, schwingt in der Musik mit getragener Solovioline und folkloristischer Einsprengsel die "ungarische" Vergangenheit mit. Dabei hatte ich nicht den Eindruck, dass Sarde hier bestimmte ungarische Volkslieder imitiert, sondern das Ungarische auch hier gewissermaßen "verhüllt" und verfremdet ist und hauptsächlich durch die Instrumentierung präsent ist. Diesen Passagen stellt Sarde einige rhythmische, fast maschinenhafte Klänge gegenüber, die gleichermaßen die starre amerikanische Bürokratie repräsentieren können sowie auf Mikes Vergangenheit als Fabrikarbeiter verweisen. Hier ergibt sich natürlich ein indirekter Querverweis zu den Todesmaschinen des zweiten Weltkriegs, sodass Sarde hier in seinem dichotomen Vertonungsansatz ein vielfältiges Beziehungsgeflecht etabliert. Die Musik zu MUSIC BOX wurde von Varèse Sarabande - wie so oft bei Sarde - wahrscheinlich vollständig veröffentlicht, denn der Film enthält vielleicht nichtmal eine halbe Stunde Musik. Dieselbe Zusammenstellung ist auch bei Universal France zusammen mit kurzen Auszügen aus den anderen Costa-Gavras-Filmen MAD CITY und LA PETITE APOCALYPSE. Sie gehört vielleicht nicht zu den Sarde-Musiken, die auch losgelöst vom Film die stärkste und intensivste Wirkung entfalten, aber es ist ein weiteres Zeugnis für die vielseitige und tiefgründige künstlerische Arbeit dieses (Film-)Komponisten.
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Das Feuer in L.A. zerstört Unmengen an Wohn- und Lebensraum für tausende Menschen. Dabei fiel bereits auch wertvolles kulturelles Erbe den Flammen zum Opfer, zum Beispiel die Villen von Thomas Mann und Lion Feuchtwanger. Ist etwas darüber bekannt, wie es den Studios und Label gerade geht? Was ist zum Beispiel mit Intrada?
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L'OURS Jean-Jacques Annaud, der schon mit LA GUERRE DU FEU einen unkonventionellen Ansatz verfolgt hatte, indem sein Film keine verständliche Sprache enthielt, aber doch nachvollziehbar eine Geschichte erzählte, setzte mit L'OURS ein absolutes Herzensprojekt um. In atemberaubenden Aufnahmen zeigt der Film, wie ein Bärenjunges durch einen Erdrutsch seine Mutter verliert und sich schließlich einem anderen Bären anfreundet. Doch bald kommen ihnen zwei Bärenjäger auf die Spur und ein Kampf auf Leben und Tod beginnt. Ich gebe zu, dass ich etwas skeptisch war, ob mich der Film bei der Stange halten könnte, doch schon in den ersten Minuten war ich von den prächtigen Naturaufnahmen in den Bann gezogen. Es ist absolut beeindruckend, wie Annaud und sein Team die Bären dazu bewegen konnten, so glaubwürdig "mitzuspielen". Ich weiß nicht, ob so ein Film heute noch möglich wäre oder ob man nicht die Tiere komplett animieren würde. Annaud zeichnet auch kein dichotomisches Gut-Böse-Schema. Auch, wenn die Sympathien ganz klar auf der Seite der Bären liegt, gelingt es Annaud, auch die Bärenjäger so in Szene zu setzen, dass man ihre Motivation mit der Zeit nachvollziehen kann. Trauer und Verlust spielt sich auf allen Seiten ab, zum Beispiel, wenn der erwachsene Bär die Pferde der Jäger reißt oder ihre Jagdhunde tötet. Es geht ums Fressen und Gefressenwerden. Der Fokus des Films verschiebt sich zusehends von den Bären zu den Menschen, sodass auch Sprache, die zu Beginn gar nicht zu hören war, immer mehr Einzug hält. Insgesamt ist L'OURS ein absolut sehenswerter Film, der glücklicherweise in einer restaurierten Fassung vorliegt, in der die prachtvollen Naturaufnahmen eindrucksvoll zur Geltung kommen. Als einzigen Kritikpunkt möchte ich die penetrant synchronisierten Szenen mit dem Bärenjungen anbringen. Ständig gibt das Junge menschlich anmutende Laute von sich, die einem irgendwann auf den Keks gehen. Auch die psychedelischen Traumsequenzen wirken heutzutage etwas veraltet und können gerade vor den großartigen Naturaufnahmen nicht bestehen. Wie auch bei LA GUERRE DU FEU spielt Philippe Sardes eine wichtige Rolle, um die Emotionen der Akteure zu transportieren, die malerischen Landschaften zu vertonen oder die Bedrohungen und Gefahren musikalisch einzufangen. Annaud bat ihn, das Thema der Barcarole aus Tschaikowsky Klavierzyklus Die Jahreszeiten, op. 37a zu vertonen. Während der Aufnahmen arrangierte Sarde das Thema auch für Flöte, Violine, Cello und Gitarre, interpretiert von einem hochkarätigen Solistenensemble. Im Film sind diese Versionen aber nicht zu hören, stattdessen erklingt hier die Musik, die Sarde mit dem London Symphony Orchestra aufnehmen konnte - orchestriert unter anderem von Alexander Courage und dirigiert von Carlo Savina! Es ist nicht verwunderlich, dass L'OURS zu den beliebtesten Werken von Sarde gehört, denn hier entwickelt er ein prachtvolles symphonisches Tongemälde, das gleichzeitig Sardes feinsinnigem Gespür für musikalische Raffinessen Rechnung trägt. Die Einbindung des Tschaikowsky-Themas gelingt dabei meisterhaft und durch die notwendigen Actionpassagen bleibt die Musik auch über ihre gesamte Laufzeit abwechslungsreich. Zum Filmstart wurde die Musik in zwei langen Suiten veröffentlicht. Zum 30. Jubiläum legte Musicbox Records eine neue Version vor, auf der die einzelnen Stücke auch als einzelne Tracks repräsentiert sind und in eine neue Reihenfolge gestellt wurden. Darüber hinaus sind hier auch erstmals die kammermusikalischen Arrangements vertreten, die die Musik nochmal in einem ganz anderen Gewand präsentieren. Die CD sei dabei allen Filmmusikbegeisterten ans Herz gelegt - ebenso der fantastische Film!
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UN DIMANCHE Á LA CAMPAGNE Der Titel von EIN SONNTAG AUF DEM LANDE ist auch eine treffende Inhaltsangabe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts: In einem schönen Landhaus wohnt der alte Kunstmaler Ladmiral mit seiner Haushälterin Mercedes. Sonntags bekommt er regelmäßig Besuch von seinem Sohn Gonzague, dessen Frau Marie-Thérèse sowie den drei Kindern. Im gepflegten Müßiggang bringen die Hausbewohner und der Besuch den Tag herum: Es gibt gutes Essen, die Kinder spielen im Garten, man macht ein Nickerchen und spricht vielleicht ein bisschen über Kunst oder Vergangenes...bis Irène, die quirlige Tochter des M. Ladmiral mit ihrem Auto die Idylle stört und wie ein Wirbelwind alles durcheinanderbringt. EIN SONNTAG AUF DEM LANDE ist unspektakulär, aber bildgewaltig. Man muss in Stimmung für diesen Film sein, der einem Großstadtmenschen nach einem Arbeitstag oder einem gestressten Zuschauer ein Fenster in eine (vermeintliche) Idylle eröffnet. Der Film lädt dazu ein, sich zu entspannen und in den großen Garten des M. Ladmiral oder sein altes Landhaus entführen zu lassen. Natürlich gibt es Konflikte in dieser Familie, aber die gibt es überall. Sie brodeln auch nicht unter der zivilisierten Oberfläche, um schließlich hervorzubrechen. Eine Erzählstimme klärt zuweilen über die genauen Verhältnisse von den Figuren zueinander auf und einige Kommentare fand ich sehr poetisch und ergreifend, zum Beispiel, dass Gonzague mit seiner Familie den alten Vater regelmäßig aus Pflichtgefühl besucht, während sich Irène nur selten blicken lässt. Dadurch führen Gonzagues Versuche, ein "guter Sohn" zu sein, Ladmiral besonders vor Augen, dass er seine Tochter vermisst - und das spürt Gonzague bei jedem sonntäglichen Abschied, wenn er die Verandatreppe "wie ein zurückgewiesener Liebhaber" hinuntersteigt. Insgesamt ist EIN SONNTAG AUF DEM LANDE ein schöner Film, auf den man sich aber einlassen muss und für dessen Ruhe und Gelassenheit man vielleicht nicht immer den Sinn hat. Über die Musik gibt es nicht viel zusagen - zumindest nicht in Bezug auf Philippe Sarde. Denn wie auch im Falle von LES SOEURS BRONTË oder BUFFET FROID war Sarde ausschließlich damit betraut, Musik von (einem) anderen Komponisten zu adaptieren - in diesem Falle Gabriel Fauré, von dem mehrere Kammermusikwerke auszugsweise erklingen. Ich weiß nicht, ob die Auszüge neu für den Film eingespielt wurden oder Sarde Tavernier lediglich gesagt hat, welche Stellen und welche Aufnahmen passen würden. Faurés Musik passt definitiv in die Zeit und steht für Ladmirals gemäßigten, vielleicht auch leicht akademischen Malstil. Die neuesten Strömungen - insbesondere den Impressionismus, hat Ladmiral für sich nicht erschließen können, auch wenn er ihn als Kunstrichtung zu schätzen weiß. Somit erklingen auch keine impressionistischen Klänge in diesem Film, auch wenn die üppige sommerliche Gartenlandschaft sich hervorragend mit den Klängen Debussys oder Ravels vertragen hätte. Ein besonders schönen musikalischen Moment gibt es allerdings bereits am Anfang des Films, wenn Ladmiral aufsteht und ein Lied singt, das sich merkwürdig mit einem anderen Volkslied singt, das Mercedes bei der Erledigung des Haushalts trällert.
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GARÇON! Wie so oft bei Claude Sautet ist die Prämisse von GARÇON!, unaufgeregt eine Geschichte aus dem Leben zu erzählen. In diesem Fall eine Episode aus dem unaufregenden Leben des Kellners Alex, der einst als Stepptänzer arbeitete und nun von seinem eigenen Vergnügungspark träumt. Dieses Vorhaben kann er endlich umsetzen, als er die letzte Schuldenrate abgestottert hat, nachdem ein von him mit seiner Ex-Frau geführtes Hotel bankrott gegangen ist. Zwischendurch beginnt er eine Beziehung mit der jüngeren Claire, bei deren Hochzeit er einst als Tänzer aufgetreten war und die nun geschieden ist. Und so plätschert der Film dahin. Man verliebt sich, man betrügt sich, man geht zur Arbeit, man trifft sich mit Freunden, man geht zum Arzt etc. Das normale langweilige Leben eines mittelalten Mannes und seines sozialen Umfelds eben. Sautet soll den Film selbst nicht besonders gemocht haben und gibt Hauptdarsteller Yves Montand die Schuld. Der soll anscheinend einiges am Drehbuch geändert haben, aber wenn ich mir den Film so ansehen frage ich mich, was man hier groß ändern konnte? Die Prämisse gibt einfach nicht viel her und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sautets ursprünglicher Entwurf spannender war. Sehen wollte den Film dann auch keiner, sodass GARÇON! an den Kinokassen floppte und bei den Kritikern durchfiel. Dabei ist nicht alles schlecht an dem Film, gerade der Trubel im Restaurant zu Beginn ist fantastisch inszeniert. Souverän manövriert sich Alex durch die Tischreihen, versorgt die Gäste, koordiniert Kollegn und zofft sich in der Küche mit dem Chefkoch. Auch schön ist das Paar, das in jeder Restaurantszene zu sehen ist und sich zusehends entfremdet, bis zum Schluss nur der Mann alleine am Tisch sitzt. Aber solche Details findet man viel zu wenig, um nicht bald das Interesse zu verlieren. Andere Dinge sind dann wieder zu plump, zum Beispiel, wenn Alex die Fahrgeschäfte und Spiezeuge für seinen Vergügungspark aussucht und selber ausprobiert. Hier soll dann offensichtlich das Kind im Manne zur Geltung kommen. Für GARÇON! komponierte Sarde eine gute Viertelstunde Musik, die wahrscheinlich das Beste am ganzen Film bildet. Schon die nonchalante Titelmusik mit dem auftrumpfenden Trompetenmotiv und den charmanten Streicherlinien über die dahintrottende Orchesterbegleitung macht Laune und schafft, was der Film nicht zu vollbringen vermag: Sie zaubert einem direkt ein Lächeln ins Gesicht. Die Titelmusik erklingt später weich in den Streichern und mit zurückgenommener Begleitung, wenn Alex Clair durch die Stadt folgt. Nie scheint die Musik ihren heiteren Charakter aufzugeben und ist doch immer filigran gestaltet. In wahrscheinlich vollständiger Fassung wurde die Musik von Musicbox-Records veröffentlicht - zusammen mit LE CHOIX DES ARMES und LA GARCE.
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COUP DE TORCHON Französisch-WestafrikaLE 1938: Lucien Cordier ist der einzige Polizist im Dorf Bourkassa Ourbangui und nimmt seine Aufgabe nicht ernst. Bisher hat er noch niemanden verhaftet, zwei ortsansässige Zuhälter tanzen ihm auf der Nase herum, seine Frau betrügt ihn offensichtich, ein reicher Geschäftsmann stellt Latrinen direkt vor Cordiers Wohnung auf und auch sonst scheint niemand den Dorfpolizisten ernst zu nehmen. Doch das Blatt wendet sich, als Lucien schließlich zum Gegenschlag ausholt. Kaltblutig knallt er die Zuhälter ab und räumt auch den Ehemann seiner Geliebten aus dem Weg. Dabei dreht er es stets so hin, dass der Verdacht nicht auf ihn fällt - und wo es mal eng wird, entzündet er rasch eine Nebelkerze, verwirrt das lokale Militär mit einer aus der Tasche gezauberten Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland - oder beseitigt einfach noch einen weiteren Zeugen. Die Ignoranz und der Rassismus der weißen französischen Besatzungsmacht spielen ihm dabei stets in die Karten. COUP DE TORCHON ist ein überaus merkwürdiger Film. Es ist offensichtlich, dass Bertrand Tavernier hier eine Kritik am Kolonialismus und dem weißen Überlegenheitsdenken vorbringt, in der heutigen Zeit, in der vor Otto-Waalkes-Filme und Ein-Herz-und-eine-Seele-Folgen Triggerwarnungen geschaltet werden (was mir immer noch lieber ist, als sie zu zensieren oder gar nicht auszustrahlen), wirkt der von den Figuren so hemmungslos geäußerte Rassismus schon geradezu brisant - zumal den entsprechenden Figuren nicht widersprochen wird. Lucien, der sich zunächst gegen die These ausspricht, Schwarze seien keine "richtigen Menschen", lässt sich schließlich von seinem Kollegen Chavasson vom Gegenteil überzeugen - wenn vielleicht auch nur scheinbar? Es ist eben diese Führungslosigkeit des Films, das nüchterne, in langen Kamerafahrten gestaltete Erzählen, das ein sensibles Gen-Z-Publikum durchaus irritieren dürfte - insbesondere in Kombination mit den schonungslos dargestelten Gewaltausbrüchen - auch Frauen gegenüber. Die von Isabelle Huppert gespielte Rose wird zweimal verprügelt und Lucien tritt sogar mehrfach auf einen Sterbenden ein, weil dieser sich eh nicht wehren kann. Ich bin mir aber aus einem anderen Grund nicht sicher, ob Taverniers Konzept wirklich aufgeht. Es ist ein interessanter Ansatz, den von Philippe Noiret gespielten Lucien zuerst wie einen gutgläubigen Trottel zu inszenieren, der seine Unbekümmertheit auch dann nicht verliert, wenn er zum kaltblütigen Mörder wird. Allerdings vollzieht Luciens Charakter noch eine weitere Wende, nämlich wenn er sich plötzlich - zumindest im Gespräch mit anderen - mit Jesus Christus identifiziert. Der religiöse Aspekt ist im Film zwar an verschiedenen Stellen spürbar - zum Beispiel, wenn der örtliche Priester einen Eisenjesus an ein neues Kruzifix nagelt (das alte wurde von Termiten zerfressen), während er Lucien vorwirft, so passiv zu sein. Dennoch ist diese letzte Umdrehung in Luciens Charakterentwicklung nicht nachvollziehbar. Sie teilt sich nur in ein paar Dialogen mit, nicht aber in Noirets Spiel oder Taverniers Inszenierung. Zuguterletzt legt das Drehbuch Lucien zum Schluss noch ein paar "moralisierende" Sätze in den Mund, zum Beispiel, dass er ja eigentlich gegen die Reichen und Mächtigen vorgehen müsste, aber es nicht kann, weil sie zu reich und mächtig sind. Deswegen schlage er nun doppelt so brutal auf die Armen ein. Das wirkt aufgesetzt, weil er im Film nicht auf die Armen einschlug, sondern stets für den eigenen Vorteil tötete. Es ist nicht uninteressant, wie gerissen Lucien dabei vorgeht, die Umstände so zu arrangieren, dass der Verdacht nicht auf ihn fällt - bis er es schließlich schafft, auch andere für sich töten zu lassen. Aber für einen Kriminalfilm - ob satirisch angelegt oder nicht - fehlt dem Film der Fokus. Vielleicht wollte Tavernier einfach zu viel: Die Krimihandlung als roter Faden, die Korrumpierung von Lucien als Brennspiegel, in dem sich de verschiedenen Facetten der grausamen Kolonialherrschaft bündeln - angefangen bei reinem Opportunismus über Selbstbereicherung bis zum religiösen Wahn - und allgemeine Kritik an Frankreichs Kolonialherrschaft. Daraus resultiert ein mit 130 Minuten überlanger Film, dem es letzten Endes an Biss und Fokus fehlt. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Philippe Sardes Vertonung von COUP DE TORCHON fiel etwas eklektisch aus. Den Vorspann vertonte er mit schroffen Klängen, die in ihren wuchtigen Rhythmen und den leicht dissonanten Klangschichtungen ein wenig an LA GUERRE DU FEU erinnern. Solche Musik hört man aber im weiteren Filmverlauf nicht mehr, stattdessen erklingen hier vor allem jazzige Nummern, die vor allem auf die Spielhandlung verweisen. Zum Filmstart erschien eine LP, die mit 27 Minuten die komplette Musik aus dem Film enthalten dürfte. ca. 18 Minuten erschienen auf dem Tavernier-Sarde-Sampler, den Universal France 2002 veröffentlichte. Wer jazzige Klänge mag, wird hier auf seine Kosten kommen, aber ich denke, es gibt interessantere Musiken von Sarde.
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Die neuen Club CDs für den Juni sind da
Mephisto antwortete auf Marcus Stöhrs Thema in Scores & Veröffentlichungen
Ja, das waren echt noch andere Zeiten, was den Varèse-Club angeht. Ich habe hier ja auch manchmal uralte Threads ausgegraben, weil ich erst kürzlich einen Film oder eine CD aus einer früheren Staffel entdeckt habe. MY COUSIN RACHEL ist auch ein absolut großartiger Film, den ich mir vor ein paar Jahren als Twilight-Time-Blu-Ray zugelegt habe - mit Iso-Musikspur. Die Club-CD habe ich allerdings ebenfalls.