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Mephisto

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  1. Hans Martin Majewski - Deutsche Filmmusikklassiker Hans Martin Majewski zählt zu den prominentesten und meistbeschäftigten Komponisten der (West)Deutschen Nachkriegsfilmgeschichte. Das Label Alhambra hat sein Schaffen mit einer randvoll gefüllten 6-CD-Box ausgiebig gewürdigt. Für diese Veröffentlichung konnte glücklicherweise auf Sicherheitskopien aus Majewskis Privat-Archiv zurückgegriffen worden, sodass man zahlreiche Schätze präsentiert bekommt, die schon längst der Zeit zum Opfer gefallen wären. Majewskis erste Musik entstand bereits zur Zeit des so genannten „Dritten Reiches“ für Arthur Maria Rabenalts FLUCHT INS DUNKEL, dessen Musik angeblich von der Zensurbehörde beanstandet wurde. Mit Kriegsausbruch wurde er als Soldat einberufen, sodass seine gerade einmal begonnene Karriere unterbrochen wurde. Diese konnte er erst 1948 mit einer Arbeit für Wolfgang Liebeneiner wieder aufnehmen. Der Regisseur Wolfgang Liebeneiner gehörte zu jenen Regisseuren, deren Karriere im so genannten „Dritten Reich“ begann. Von 1937 bis 1940 drehte Liebeneiner ausschließlich Komödien, die sich aber durch die innovative Inszenierung vom Durchschnitt abhoben, bis ihm 1940 mit BISMARCK der erste politische Film zugetragen wurde. Liebeneiner meisterte die Aufgabe mit Bravour und inszenierte im folgenden Jahr mit ICH KLAGE AN einen der perfidesten und widerlichsten Filme, die während der NS-Zeit gedreht wurden. Der Film bildet eine Mischung aus Melodram und Gerichtsdrama und behandelt vordergründig die Tötung auf Verlangen. In Wahrheit werden aber Tötung auf Verlangen und „Vernichtung von ‚lebensunwertem Leben‘“ miteinander vermischt. Liebeneiners möglichst distanzierte Inszenierung, die hervorragenden Darsteller und ein ausgefeiltes Drehbuch manipulieren sogar heutige Zuschauer so geschickt, dass dieser Aspekt häufig übersehen wird. Mit DIE ENTLASSUNG drehte Liebeneiner einen weiteren Bismarck-Film und wurde 1945 mit einem weiteren Großprojekt, DAS LEBEN GEHT WEITER, beauftragt. Diesen Film, der an den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung appellieren sollte, konnte aber nicht mehr fertig gestellt werden. Liebeneiner kam wie alle seine Regiekollegen mit Ausnahme von Veit Harlan, unbescholten davon, und inszenierte nach dem Krieg über 30 weitere Filme – häufig auch solche, in denen die NS-Vergangenheit Deutschlands verklärt oder Verantwortung für die Begebenheiten in dieser Zeit abschoben. Umso perfider, dass Liebeneiner mit LIEBE 47 eine Verfilmung von Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ seinen ersten Nachkriegsfilm vorlegte. Borchert war mehrfach wegen offener Kritik am Nationalsozialistischen Regime verurteilt und inhaftiert worden. LIEBE 47 war die erste von mehreren Filmmusiken, die Hans-Martin Majewski für Wolfgang Liebeneiner komponierte. Die in dieser Box enthaltenen vollständigen Originalaufnahmen bilden ein wertvolles Dokument, gehören sie schließlich zu den ältesten erhaltenen deutschen Filmmusikaufnahmen. Majewskis Vertonungsansatz zu LIEBE 47 ist überwiegend traditionell symphonisch gehalten. Wie bei vielen Filmmusiken zu den Dramen Hollywoods bildet ein starkes Liebesthema den Kern, während man bei mystisch angehauchten Szenen auch gerne mal die Grenzen der „Spätromantik“ überschreitet und sich auf tonal schwebendem Gebiet bewegt. Derartige Passagen komponierte Majewski für die Elbe, die er mit einer Collage aus repetitiven Drehfiguren des Fagotts, gleichmäßigen Marimbaschlägen und einem schimmernden Violintremolo bedachte. In den Passagen für einen alten Mann klingt immer wieder das mittelalterliche „Dies Irae“ an, dessen erste vier Töne immer wieder anders fortgesponnen werden. Dem gegenüber steht das sehnsüchtige und lyrische Liebesthema, das zärtlich von den Violinen in hoher Lage interpretiert wird oder in einem Fall auch als Oboensolo erklingt. Abgesehen von der Titelmusik kommt das Thema erst in der zweiten Hälfte der Musik voll zur Geltung, während Majewski für die erste Hälfte mehrere diegetische Passagen komponierte. Darunter befindet sich prachtvolle Ballsaal- und Tafelmusik, eine Jazznummer sowie ein rustikaler Ländler für eine Alpenszenerie. Auf Grund ihres Alters klingt die Aufnahme zwar antiquiert, dem Zauber des Liebesthemas und der mystisch-unbehaglichen Stimmung der Elbe und des alten Mannes vermag man sich aber ebenso wenig zu entziehen wie den prächtigen Ballklängen zu Beginn. Man muss Alhambra überaus dankbar sein, diesen Schatz vollständig archiviert und öffentlich zugänglich gemacht zu haben. Die Musik ist zwar in Anbetracht von Majewskis späteren Musiken eher von historischem Interesse, aber es finden sich einige wunderschöne Momente in dieser noch traditionellen frühen Filmmusik eines der meistbeschäftigten Komponisten der Nachkriegszeit. Mit WENN EINE FRAU LIEBT (MELODIE DES HERZENS) ist auch eine weitere Musik zu einem Film von Liebeneiner, der hier sein Erstlingswerk VERSPRICH MIR NICHTS von 1937 neu verfilmte, in der Box enthalten. Anstelle von Luise Ulrich, Viktor de Kowa und Heinrich George spielen durch die Bank Darsteller, die ebenfalls während der NS-Zeit zur ersten Schauspielriege gehörten: Hilde Krahl, Johannes Heesters und Matthias Wiemann, einer der drei Hauptdarsteller aus ICH KLAGE AN. Die Musik von Majewski, dessen Hauptthema auch als Schlager „Alle Sterne dieser Welt, die hol ich dir vom Himmelszelt“ vertextet wurde, hätte ebenfalls zu einem Film aus der NS-Zeit komponiert sein können. Das eingängige Hauptthema wird weich im ganzen Orchester vorgestellt und in einer anschließenden langsamen Tanznummer durchgeführt – Akkordeonsolo und schmalzige Stehgeigereinlage inklusive –, bevor es auch in der Schlussmusik voll ausgespielt wird. Hier wäre es vielleicht nett gewesen, noch ein bisschen aus der Originalfilmmusik zu bekommen, aber auf einer CD ist halt leider nur begrenzt Platz. KLETTERMAXE aus dem Jahre 1952 war die erste Zusammenarbeit von Kurt Hoffmann mit Hans-Martin Majewski, der für die Filmkomödie eine spritzige Vertonung lieferte. Die Auszüge auf der CD bestehen abgesehen von der rasanten Potpourri-Ouvertüre ausschließlich aus diegetischen Jazz- und Tanznummern, die Majewski für zahlreiche Varieté- und Hotelsaalszenen schrieb, und die hauptsächlich für Bigbandbesetzung arrangiert sind. Als Hauptthema dient die Melodie zum Titellied „Mein Herz schlägt im Rhythmus der Liebe“ mit einem Text von Kurt Schwabach. Eine Vokalversion dieses Titels ist auf dem Set allerdings nicht enthalten. Nach dem überraschenden Erfolg von KLETTERMAXE beschlossen die Produzenten, einen weiteren Kriminalfilm in den Verleih zu bringen, zu dem Majewski ebenfalls die Musik schrieb. Die Titelmusik entspricht mit seinem lässigen Jazzcharakter noch ganz dem Zeitgeschmack, in der mit verschwommenen Kaskaden der elektrischen Orgel durchzogenen Verfolgungsmusik offenbart sich aber bereits Majewskis Freude am Experiment und seine Vorliebe für ausgefallenen Klänge. Umso konventioneller erscheinen die zwei weiteren auf dieser Kollektion enthaltenen Titel zum NACHTGESPENST: eine sanfte, mit Streichern, Flöte und Horn gestaltete Konversationsmusik, und der ebenfalls orchestral gehaltene Schusstitel. Das 1953 gedrehte Filmdrama DAS ZWEITE LEBEN um einen französischen Maler, der auf Grund einer Verletzung im Zweiten Weltkrieg sein Gedächtnis verliert und anschließend glaubt, selbst Deutscher zu sein, gab Majewski die Gelegenheit, eine anspruchsvolle Vertonung zu schreiben, die auch avantgardistische Kompositionstechniken einbezieht. Umso bedauerlicher, dass in der Box lediglich die Titelmusik enthalten ist, die einem den nur Mund wässrig machen kann. Im Klavier entwickelt sich ein längerer, barock anmutender Komplex, dem sich bald die Streicher hinzugesellen. Die kunstvoll gearbeitete Passage wird bald von kurz aufblitzenden Xylophonschlägen gestört, Majewski schaltet weitere einzelne Linien im Blech hinzu, die sich wie Keile zwischen die einzelnen harmonischen Linien der Streicher und des Klaviers schieben. Bald schält sich aus dem dichten Geflecht eine neue Schlagermelodie, die Majewski später als Titelmusik für HERR ÜBER LEBEN UND TOD einsetzen wird. Der Komponist arbeitet fast mit den Mitteln der Collage, schichtet individuelle und harmonisch unabhängige Linien übereinander und arbeitet mit Überblendungen. Wahrlich ein Fest, aber leider nur zweineinhalb Minuten lang. Auf den für diese Produktion zur Verfügung stehenden Bändern ist leider nur die Titelmusik enthalten gewesen. Schade, denn hier wäre mehr wirklich mehr gewesen! In seiner Titelmusik zu WEG OHNE UMKEHR über die verzweifelte Flucht eines jungen Paares in den Westen setzte Hans-Martin Majewski neue Maßstäbe. Nach einem stechenden Akkord der Bläser etabliert der Komponist ein 9-Noten-Motiv, das ausschließlich allein von der Pauke intoniert wird. Immer und immer wieder, dynamisch langsam ansteigend, hämmert sich dieses Ostinato ins Gedächtnis, bevor es von den gezupften Streichern übernommen wird. Hier blitzen nun gleichmäßige Töne im Xylophon auf, setzen das Klavier mit rollenden Sechzehntelketten und die Bläser mit kurz angestoßenen Akkorden ein. Ein wahrliches Fest an Effizienz und Ökonomie. Erst im weiteren Verlauf der Handlung führt Majewski für die junge Anna auch ein „richtiges“ Hauptthema ein, das hauptsächlich aus Dreiklangsbrechungen besteht und mit seiner zur Schau gestellten Naivität diametral zur radikalen Titelmusik steht. Dieses nimmt den größten Raum in der Musik ein, die mit unheilsschwangeren Violintrillern in hoher Lage, mysteriösen Klavierarpeggien und einzelnen Motivfetzen der Flöten um einige Suspensepassagen bereichert wird, bevor eine äußerst temporeiche Reprise der Titelmusik Annas und Mischas Flucht aus Ostberlin begleitet. Eine versöhnliche Darbietung des Anna-Themas beschließt diese hervorragende Musik, die zwar noch nicht ganz an die Thrillerpartituren der folgenden Jahre heranreichen mag, aber definitiv Maßstäbe gesetzt hat. Für die erste Verfilmung von DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER aus dem Jahre 1954 gelang Majewski ein besonderer Coup. Seine Freude am Experiment und außergewöhnlichen Klängen schlägt sich in der Besetzung eines Mundharmonikatrios für die Welt der Kinder, dem die vertraute Orchesterbesetzung als klingender Repräsentant der Erwachsenen gegenübergestellt wird. Schon die ersten Akkorde der Titelmusik, die in auftrumpfendem Orchestergewand an Pomp nicht zu überbieten wären, verkommen in der Mundharmonikabesetzung zu einer urkomischen Geste, die durch das anschließende Glissando derselben Instrumente noch lächerlicher gemacht wird. Anschließend werden die beiden Klangwelten in Form des heiteren, aber weitaus gewichtigeren Orchesterthemas und das Kinderthema über die treibende, fast schon hetzende Begleitung einander gegenüber gestellt. Derart strikt werden allerdings das orchestrale und das Mundharmonikaensemble im weiteren Verlauf der Musik nicht mehr getrennt. Die drei Schneeballschlachtmusiken bleiben zwar weiter dem Trio vorbehalten und sind mit allerlei Effekten virtuos gearbeitet, aber die Mundharmonika ist auch als Soloinstrument mit dem Orchester verwoben. Majewski schrieb für mehrere Szenen wundervolle lyrische Passagen sowie das prollige Posaunensolo in „Ruhe, bitte!“ Auf die Dauer kann einem der Mundharmonikaklang etwas auf den Wecker gehen, nichts desto trotz ist Majewski in diesem Werk eine äußerst originelle Komposition gelungen. Die nervenaufreibende zum Kriminalfilm ALIBI gehört zu den Juwelen dieser CD-Kollektion. Hans-Martin Majewski stand für die bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzte Produktion ein voll besetztes Orchester zur Verfügung, dessen Schlagkraft er insbesondere in der wuchtigen Titelmusik einzusetzen verstand. Wie auch in späteren Thrillermusiken eröffnet Majewski mit einem dramatischen Vorspiel, das den Hörer von der ersten Sekunde an fesselt. Dissonante Tutti-Akkorde leiten das Orchesterfeuewerk ein. Als erstes Element wird ein charakteristischer Rhythmus mit einer punktierten Viertel und einer etwas schwerfälligen Vierteltriole eingeführt. Die kleine Trommel (ohne Schnarrseiten) spielt treibende Sechzehntelketten, der Rhythmus liegt im tiefen Register des Orchesters und wird durch das Schlagzeug verstärkt. Dann schaltet Majewski einen marschähnlichen Teil mit groteskem Einschlag zwischen, bevor er einem etwas schablonenhaften lyrischen Thema Raum gibt. Hier fühlt man sich am ehesten in die Klangwelt Hollywoods versetzt. Die jazzige Musik zu einer Reeperbahnfahrt erinnert ein bisschen an andere Kriminalfilmmusiken dieser Zeit, insbesondere der Wallace-Filmmusiken, die nicht von Böttcher oder Thomas stammen. Während des Indizienprozesses greift Majewski auf Stilmittel zurück, die einem noch öfter in Suspensepassagen begenen werden: blitzende Xylophonschläge, einzelne Klavierfiguren und lang gehaltene Bläserschichten. Der Fokus liegt aber auf dem wuchtigen Material, das Majewski in der Titelmusik vorgestellt hat inklusive des lyrischen Themas, das zum Schluss voll ausgespielt wird. Diese Musik ist ein wahres Fest an musikalischer Aggression und Wucht. Unverkennbar Majewski mit einem Schuss Hollywood – ganz großes Kino für die Ohren! Mit der Musik zu Falk Harnacks NACHT DER ENTSCHEIDUNG ist Hans-Martin Majewski eine seiner packendsten Partituren gelungen. Obwohl es sich bei dem Film, in dem eine Frau sich zwischen ihrem für tot erklärten, aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Mann und ihrem zweiten Ehemann entscheiden muss, um ein Drama handelt, steht die Musik Majewskis Thrillerkompositionen aus dieser Zeit nichts nach. Bereits die Titelmusik weckt große Erwartungen an das Kommende. Grelle, übereinander geschichtete Motivfetzen der Bläser und Streicher bahnen den Raum für motorische Sechzehntelketten der Streicher, flankiert von ruppigen Tuttiakkorden und von Flötenlinien und Xylophonläufen durchzogen. Aus einem sechstönigen Motiv entwickelt Majewski schließlich auch ein melodisch-thematisches Element, aber der Fokus dieser orchestralen Musik liegt auf motorischen und ostinaten Figuren sowie rhythmischen Akzenten. Ein Gegengewicht schaffen eine nahezu schlagerartige Passage und ein bei Majewski schon fast obligatorische Walzer. Schließlich übernehmen für eine längere Fabrikpassage wieder die rhythmischen und ruppigen Klänge, bevor Majewski das in der Titelmusik entwickelte Thema noch einmal triumphal vom ganzen Orchester darbieten lässt. Mit einer knappen Viertelstunde ist die Musik zu NACHT DER ENTSCHEIDUNG leider viel zu kurz geraten, denn bei dieser mitreißenden Partitur wäre mehr wirklich mehr gewesen. So muss man sich damit begnügen, gleich einen weiteren Hördurchgang einzulegen, wenn die letzten Noten des Finales verklungen sind. Die Idee, Bach zu verjazzen, war 1956 nicht mehr neu, als Regisseur Curd Jürgens Majewski darum bat, für den Film OHNE DICH WIRD ES NACHT die barocken Formen mit dem Jazz zu verbinden. Analog zum Spannungsfeld zwischen der Drogensucht des Anwalts Dr. Robert Kessler und seiner Liebe zu seiner Frau Gina entwirft Majewski unterschiedliche Klangwelten, die von dem Thema der Es-Dur Fuge aus dem 2. Band von Johann Sebastian Bachs Das wohltemperierte Klavier zusammengehalten werden. Dieses glüht bereits in der Titelmusik zwischen harschen Tuttiakkorden des Orchesters dunkel schimmernd im Vibraphon auf. Im weiteren Verlauf beschränkt sich die Kombination des Bach’schen Themas im jazzigen Gewand nur noch auf zwei diegetische Stücke, die vom Rediske-Quartett eingespielt wurden. Den größten Teil nehmen die Komposition für die Szenen zwischen Robert und Gina ein, für die Majewski der Klangkörper des Südfunk-Tanzorchesters zur Verfügung stand. Das Fugen-Thema erklingt hier in der von Johannes Rediske gespielten E-Gitarre über sanfte Streicher, bietet als Ausgangspunkt für weit gesponnene Flötenlinien und erklingt nach der Hochzeit schließlich als heiteres Walzerthema. Für die quälenden Entzugserscheinungen Roberts entwarf Majewski mehrere dissonante und schrille Texturen, geprägt von Klarinettentrillern, scharfen Tönen der gedämpften Trompeten, sich dissonant überlagernden Schichten der Streicher und grell dissonanten Akkordattacken. In dem dramatischen Finale reduziert Majewski sein Ensemble lediglich auf die Gitarre Rediskes, der in raschen Tonketten über Fragmente des Bachthemas improvisiert, bevor es zum guten Ende wieder als Liebesthema erklingt. Im selben Jahr schrieb Majewski für KITTIE UND DIE GROSSE WELT eine heitere Musik in traditioneller Komödienmanier, deren Hauptthema auch als deutsche und französische Schlagerversion arrangiert wurde, die auf der CD die Originalfilmmusik umrahmen: einmal als „Valse Parisienne“ und dann als „Gib’ Acht, kleine Kitty“. Die Stadtszenen in Genf wurden mit quirligen Darbietungen des Hauptthemas in der Piccoloflöte und dem Fagott über eifrig gezupfte Streicherlinien vertont, bevor es im mittleren Drittel bei der lyrischen Musik für die Szenen außerhalb von Genf voll ausgespielt wird. Auch für diegetische Musik in einem Bistro und einem Hotel wurde es einmal als beschwingter Walzer und langsame Jazznummer arrangiert. Im letzten Drittel greift Majewski mit klassischen Mickey-Mousing-Idiomen wie Xylophonglissandi oder chromatisch verschobene Figuren in der Klarinette sogar auf das Mittel der von ihm so häufig vermiedenen musikalischen Illustrierung zurück. Trotz vieler kurzer Stücke und der großzügigen Laufzeit von einer halben Stunde weist die Musik zu KITTY UND DIE GROSSE WELT einen sehr guten Hörfluss auf.  Die Verfilmung des Fragment gebliebenen Thomas-Mann-Romans BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL war die bereits fünfte Zusammenarbeit zwischen Regisseur Kurt Hoffmann und Hans-Martin Majewski, der für den Film zwei Themen entwarf: Dem galanten Walzer für Zaza steht das Thema für Felix Krull gegenüber, das – dem Protagonisten entsprechend – immer wieder seine Gestalt verändert: Mal als heiteres Flötensolo über sanfte Streicher, als grotesker Marsch und später sogar als klagendes Klarinettensolo, flankiert vom Chopin’schen Trauermarsch, begleitet es den Hochstapler Krull auf seinen Abenteuern. Obwohl Majewski ein orchestraler Apparat zur Verfügung stand, konzentriert er sich hauptsächlich auf kleinere Ensembles, hauptsächlich die Holzbläser, manchmal um den Klang gezupfter Streichinstrumente bereichert. Mit diesem Klangkörper erzeugt Majewski ebenso agile und quirlige Passagen wie auch schleichende und verschmitzte Klänge wie in der „Hehlermusik“. Aufgebrochen wird die Musik immer wieder von galanter Salonmusik für die Hotelszenen. HAIE UND KLEINE FISCHE war der erste von vier Filmen des aus Amerika zurückgekehrten Regisseurs Frank Wisbar, in denen der Zweite Weltkrieg thematisiert wird, und die, abgesehen von HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? von Majewski vertont wurden. Im Zentrum von Wisbars Filmen steht das Individuum, das mit den Grauen eines Krieges konfrontiert ist, den es selber nicht ausgelöst hat. Dieser Ansatz deckt sich mit einer Reihe von reinwaschenden Filmen, die in den Nachkriegsjahren in Westdeutschland produziert wurden und unter Einfluss des Kalten Krieges mit stark antibolschewistischen Tendenzen aufwarten. Majewski stellt in HAIE UND KLEINE FISCHE die Idiome der Jazzmusik traditioneller, orchestral gehaltener Passagen gegenüber. Die Kriegsszenen bedachte der Komponist mit schrillen und blechlastigen, im Jazz verwurzelten Klängen, die auch die Titelmusik eröffnen, bevor Ralf Bendix das Lied „Verloren, vergessen“ auf der Melodie des Hauptthemas über verhaltene Orchesterbegleitung singt, stets unterbrochen von schrillen Bigband-Akkorden. In den ersten Filmminuten kehrt das Hauptthema in einem heiteren, von Holzbläserklängen dominierten Arrangement wieder, als vier abenteuerlustige junge Männer auf einem Minensuchboot anheuern. Für die Frau des Kommandanten komponierte Majewski einen seiner zahlreichen Walzer. Seine Musik für die Kriegsszenen nimmt mehrere Elemente der Unterwasser-Szenen für den ein Jahr später gedrehten Albers-Film DER MANN IM STROM voraus. Geisterhaft schimmert das Hauptthema in der Flöte durch dissonante, fast maschinenhafte und von motorischen Motivzellen geprägten Texturen. Helle Flötentöne, schrille Flatterzungen der Trompeten und Col-legno-Akkorde schaffen eine nervöse Atmosphäre, repetitive, nicht enden wollende gleichmäßige Klavierakkorde lassen auf den nächsten Ausbruch warten und dissonante Ausbrüche sowie additive Klangschichtungen werden von den fremdartigen Klängen des Mixtrautoniums verzerrt. Auch in der Schlussmusik, in der noch einmal das Hauptthema anklingt, bleibt ein beklemmendes Gefühl. Auch das Spionagedrama DER FUCHS VON PARIS gehört zu jenen im Zweiten Weltkrieg angesiedelten Unterhaltungsfilmen, die die Wehrmacht und den Einzelnen von den Kriegsverbrechen Nazi-Deutschlands reinzuwaschen suchen. Da der Film im besetzten Paris kurz vor Landung der Alliierten in der Normandie spielt, bot sich für Majewski erneut die Gelegenheit zur Komposition eines Musette-Walzers, dessen Melodie sich als Hauptthema wie ein roter Faden durch die Musik zieht und immer neuen Wandlungen unterworfen ist. So erklingt die Walzermelodie auch im beschwingten 4/4-Takt während eines Spaziergangs durch den Schlosspark von Versailles und kehrt später als säuselndes Liebesthema in sich umgarnenden Streicherlinien wieder, bevor es in sattem Streichapparat aufblüht und schließlich im finalen „Danse Marcabre“ von einer einfachen Holzbläserlinie bis zum großen Orchestertutti über einen unerbittlichen Marschrhythmus gesteigert wird. Majewskis Meisterschaft, seinem Thema immer neue Facetten abzugewinnen, kennt offensichtlich keine Grenzen. Den Action- und Spannungsanteil des Films vertonte Majewski mit einigen temporeichen Passagen, deren Charakteristika bereits in der grandiosen Titelmusik vorweggenommen werden. Hier geht der Komponist nicht motivisch-thematisch vor, sondern kombiniert einzelne Elemente wie die treibenden, fast schon motorisch ratternden Triolenketten der Streicher, die vom Klavier verstärkt werden oder einzelne aufblitzende Trompeten-Signale. Langsam schält sich bereits hier das Hauptthema im Akkordeon und der Mandoline hervor, bevor es als „reiner“ Musette-Walzer den Schluss der Titelmusik bestreitet. Eine typische Suspensepassage mit aufblitzenden Xylophonschlägen, nervösen Pizzicato-Figuren, stechenden Akzenten der gestopften Trompeten und lang gezogenen Holzbläserlinien runden das abwechslunsgreiche Hörerlebnis ab. 14 Jahre, nachdem Hans Albers als Münchhausen auf einer Kanonekugel durch die Luft geritten war, durfte er 1957 in DER TOLLE BOMBERG einen weiteren Haudrauf in historischer Uniform spielen. Für Majewski bot der Film mehrere Möglichkeiten für musikalische Charakterstücke wie die vor Xylophonglissandi, ironischen Märschen und vulgären Bläserattacken strotzende Zirkusmusik, der ein entrücktes, von Flötentrillern und Harfenarpeggien durchsetztes Feenballett gegenübersteht. Ein weiteres musikalisches Paradestück bildet die dreiteilige Musik zum Wettrennen des „tollen Bomberg“ gegen die Gartetalbahn mit dem hechelndem Rhythmus der mit Besen bespielten kleinen Trommel und vergnügten Trompetensignalen. Das an eine überdimensionierte Spieluhr erinnernde Menuett mit den mechanisch anmutenden Stabspielen, durchmischt mit zierlichen Flötentrillern und Cembalo, entspricht wieder ganz Majewskis kritischer und ironisch gebrochener Auseinandersetzung mit musikalischen Traditionen. Leider scheint von Majewskis Musik zu DER TOLLE BOMBERG nicht mehr Musik erhalten zu sein als die nicht einmal 10 Minuten langen Auszüge. Somit hat diese Zusammenstellung einen etwas fragmentarischen Charakter. Ein Jahr nach DER TOLLE BOMBERG vertonte Hans-Martin Majewski mit DER GREIFER und DER MANN IM STROM zwei weitere Hans-Albers-Filme. Zu letzterem, in dem der „blonde Hans“ einen alternden Taucher spielt, der sich nicht eingestehen kann, dass er seinen Beruf nicht mehr lange wird ausüben können, ist dem Komponisten eine hervorragende Abenteuermusik gelungen. Nach illustrativer und impressionistischer „Wasser-Musik“ sucht man hier vergeblich. Nervöse, fast geräuschhaft gehauchte Streicherakkorde, rhythmisch instabile Pendeltöne im Fagott, lang gehaltene Töne der gedämpften Trompeten und eine fahle Melodie der Klarinette und des Klaviers vertonen die Anspannung der Taucher bei der Arbeit und brachiale, massive Akkorde stehen für die Gefahr unter Wasser. Ein besonderer Coup ist der Einsatz von Oskar Salas Mixtrautonium für mehrere Passagen während der spektakulären Tauchszenen, das mit verfremdeten Geräuscheffekten und flirrenden Schichten über mäandernde Orchesterbegleitung eine wahrlich schaurige Stimmung zu verbreiten mag. Thematisch gerahmt wird die Musik von dem Shanty „Rolling Home“, den Majewski für die Titelmusik in ein dramatisches Orchestergewand kleidet, bevor die Melodie vom Akkordeon über Glockenschläge gespielt wird. Auch in einer Hafenkneipe erklingt „Rolling Home“ im Akkordeon und wird anschließend pathetisch von einem Männerchor vorgetragen. Neben diesem bezog Majewski mit „Hamborger Veermaster“ einen weiteren berühmten Shanty ein, der als vergnügter Orchestermarsch interpretiert wird. Ein originales Thema komponierte Majewski für die Liebesbeziehung zwischen Lena, der Tochter des Protagonisten, und ihrem Manfred, das insbesondere mit dem Einsatz der E-Gitarre als Soloinstrument dem Zeitgeschmack Tribut zollt. In den letzten Minuten fährt Majewski nach weiterer faszinierender Unter-Wasser-Musik noch einmal das ganze Orchester auf, sodass man sich an die versöhnlichen Schlusstitel der Hollywoodabenteuerfilme erinnert fühlt. Eine wahrhaft brillante und abwechslungsreiche Musik! Bei NASSER ASPHALT handelt es sich um die Verfilmung einer wahren Begebenheit: 1951 hatte die amerikanische Nachrichtenagentur „Associeted Press“ von zwei Wehrmachtssoldaten berichtet, die in Gdingen sechs Jahre in einem mit Lebensmitteln gefüllten Bunker überlebt hätten. Frank Wisbars Film von 1958 behandelt die fatale Wirkung der von Boulevardmedien gestillten Sensationssucht der Masse, journalistischer Berufsehre und Loyalität. Für den Protagonisten Greg komponierte Majewski ein lässiges Jazz-Thema, das von der E-Gitarre über die dezente Begleitung des Schlagzeugs und eines gezupften Basses vorgetragen und von kontrapunktischen Linien des Cellos und der Flöte flankiert wird. Gregs Thema nimmt in der ersten Hälfte des Films viel Raum ein und erklingt ebenfalls als diegetische Caféhausmusik. Die zahlreichen Spannungsmomente vertonte Majewski ebenfalls sehr sparsam instrumentiert mit tappende Bongo-Rhythmen, aufblitzenden Vibraphontönen, pulsierenden Klavierostinati und scharf angestoßenen Tönen der gestopften Trompeten. Der große Orchesterapparat kommt nur bei einer Reportage-Szene zum Einsatz, hier aber auf beeindruckende Art und Weise. Diese Passage steht mit ihren virtuosen Xylophonläufen, den rotierenden Streichern und synchopisch eingeworfenen Tuttischlägen entsprechender Titel aus ALIBI in nichts nach. Auch in anderen spannenden Szenen greift Majewski auf Ostinati und einzelne Motivzellen zurück, die beharrlich repetiert werden. Eine sehr atmosphärische Musik, die über die gesamte Länge ein bisschen an den auf der Stelle tretenden und karg instrumentierten Suspensepassagen und den immer gleichen Darbietungen des Hauptthemas krankt. Etwas mehr Action und Romantik täten dieser Musik gut, aber das gab der Film wohl leider nicht her. Das Spionagedrama MENSCHEN IM NETZ kam 1959 in die Kinos und basierte auf einem gleichnamigen „Tatsachenbericht“ von Will Tremper, der zuvor im „Stern“ erschienen war. Für die Musikeinspielung stand Hans-Martin Majewski die Big-Band des Südfunkorchesters zur Verfügung, für die er eine entsprechend jazzige Musik mit einem eingängigen Hauptthema komponierte. Abgesehen von der Titel- und Schlussmusik, in denen die Besetzung voll zur Geltung kommt, reduziert Majewski das Ensemble für diverse Verfgolungs- und Bespitzelungsszenen auf kleinere Gruppen und geht regelrecht kammermusikalisch zu Werke. Nur ein einziges Mal vernimmt man mit einer Solovioline, die zusammen mit der Klarinette weite Linien über eine motorische Big-Band-Begleitung mit Bongorhythmen und Saxophonostinati spannt, den Klang eines Streichinstruments. Einmal deutet sich eine weitere Melodie für die Ehefrau des Protagonisten an, die sogar vom einsamen Saxophon ohne jede Begleitung intoniert wird. In einigen Spannungspassagen wird es dann mit schrillen Blechbläsern etwas harscher, aber im Großen und Ganzen überschreitet Majewski kaum die Grenzen seiner eingängigen Jazzidiome. Die in der Box enthaltenen 14 Minuten zu MENSCHEN IM NETZ scheinen fast ausschließlich aus der ersten Filmhälfte zu stammen. Die Suite bietet ein gutes Hörerlebnis, aber auf Grund des etwas stereotypen, in der Unterhaltungsmusik wurzelnden Vertonungsansatzes ohne viel Ecken und Kanten bleibt die Musik hinter anderen Vertonungen dieser Kollektion zurück. Die Konkurrenz ist aber auch zugegebenermaßen sehr stark. Mit dem Kriminalfilm BUMERANG von 1959 vertonte Majewski bereits den dritten Thiller mit Hardy Krüger und Martin Held in den Hauptrollen. Ursprünglich sollte der Film gar keine Musik erhalten, aber nach der Fertigstellung änderten die Produzenten ihre Meinung und engagierten Majewski, der möglichst sparsam zu Werke ging, indem er Spannungsszenen hauptsächlich mit Schlagzeugeffekten vertonte. In der Sammlung sind denn mit der heiteren Vertonung einer Szene am Strandbad Wannsee auch nur knapp drei Minuten enthalten. Die fast an eine Komödie erinnernde Szene mit einem fröhlichen Thema der Flöte über Durharmonien der Streicher enthält sogar einen sehr illustrativen Mittelteil inklusive Harfen- und Streicherglissandi. Majewskis Musik zu Gerd Oswalds SCHACHNOVELLE nach der gleichnamigen Erzählung von Stefan Zweig besteht größtenteils aus Suspensepassagen. Mit der an Oskar Salas Mixtrautonium realisierten Titelmusik ist das einzig vollständige elektronische Stück in dieser Box vertreten. An ein Camebalo erinnernde Klangflächen und dumpfe Schläge bilden den nervösen Hintergrund für eine schattenhafte Darbietung des Hauptthemas, das von klanglich an eine gezupfte Violine erinnert. Das Thema selbst weckt Erinnerungen an Franz Schuberts Quartettsatz in c-Moll und ist oft im Subtext zu vernehmen, bevor es im „Spezialarrangement“ voll ausgespielt wird. Stefan Zweigs Erzählung handelt von einem Anwalt, der nach dem „Anschluss“ Österreichs von den Nazis inhaftiert wird und mit imaginären Schachspielen gegen sich selbst den Aufkommenden Wahnsinn der Einzelhaft zu bekämpfen sucht. Im Marsch für die Nazis zeigt sich Majewskis Talent für musikalische überspitzung. Über den stumpfen Marschrhythmus spielen die tiefen Blechbläser eine hauptsächlich aus Durdreiklangsbrechungen bestehende Melodie, die von dissonanten hohen Bläserakkorden in typisch energische Rhythmik gespielt werden. Majewski fasst hier großartig den hohlen Pomp, den vernichtenden Militarismus und die unerbittliche Grausamkeit des so genannten „Dritten Reiches“ in der Verfremdung eines Marsches an, der aber in seinen Elementen noch glaubwürdig genug ist, um als diegetische Musik zu fungieren – eine mit Bravour gemeisterte Gratwanderung. Die Szenen in der Haft sind sparsam instrumentiert, das Hauptthema schimmert in hohen Streichetremoli über Harfenarpeggien oder nervösen Pizzicato-Klängen der tiefen Streicher durch. Gestopfte Blechbläser und einzeln aufblitzende Perkussionseffekte sorgen für angespannte Stimmung. Auch das Mixtrautonium kommt dezent zum Einsatz. Beim geistigen Zusammenbruch des Protagonisten greift Majewski entsprechend früherer Konzepte auf Jazzidiome, insbesondere grelle synchopierte Akkorde der Blechbläser und Saxophonklänge, zurück. Dieser zerrütteten musikalischen Welt steht ein eleganter Walzer gegenüber, der für Irene, die Geliebte des Protagonisten steht. Dieser wird zweimal in sanftem Arrangement dargeboten, durchbricht die angespannten und nervösen Suspesenpassagen und sorgt für nötige Abwechslung. Am Heimatfilm kam kaum einer der Komponisten vorbei, die in der Bundesrepublik für den Film arbeiteten. Hans-Martin Majewski leistete seinen Beitrag zu der Produktion AN HEILIGEN WASSERN, für die er eine groß angelegte symphonische Partitur in bester Heimatfilmmusiktradition komponierte. Umso bedauerlicher, dass in dieser Box neben der auftrumpfenden und viel versprechenden Titelmusik nur Spannungspassagen enthalten sind, da alle weiteren Aufnahmen scheinbar verloren sind. Somit ist Majewskis Musik hier leider falsch präsentiert. Einen kleinen Eindruck von dem, was möglich gewesen wäre, erhält man nur in „Roman geht nach Indien“ mit triumphalen Hörnern und ausladenden Streicherlinien. Auch die Musik zum Aufruhr mit einem fast tänzerischen Ostinato und den schnatternden gestopften Trompeten ist überaus hörenswert, aber abgesehen von diesen Passagen ist von der großen Musik zu AN HEILIGEN WASSERN einer stereotypen Suspensemusik übriggeblieben. Sehr schade… SCHLOSS GRIPSHOLM ist die erste von zwei Tucholsky-Verfilmungen Kurt Hoffmanns, die beide von Majewski mit äußerst heiteren und frischen Kompositionen versehen wurden. Für SCHLOSS GRIPSHOLM komponierte er zwei lyrische Themen, die „Sommer-Melodie“ und eine Thema für das Schloss selbst. Obwohl Majewski ein gut bestücktes Orchester zur Verfügung stand, wie man bei der augenzwinkernd triumphalen Ankunftsmusik in Stockholm hören kann, liegt der Fokus auf sanften Klängen. Harfenarpeggien, zarte Gitarrenakkorde und dezentes Schlagzeug bereiten das Fundament, auf dem sich die cantabilen Melodien in sattem Streicherklang oder Soloinstrumenten ausbreiten können. Durch die Besetzung der elektrischen und akusitschen Gitarre sowie einer Mundharmonika wird der Musik häufig ein pastoraler Anstrich verliehen. Ein burleskes Element wird mit dem lebensfrohen Xylophonthema für Karl, den besten Freund des Protagonisten eingeführt. Röhrige Wawa-Trompeten dienen ebenso zur Illustration von Seekrankheit wie von Automotoren und ein höfisch anmutendes Cembalosolo während einer ersten Schlossbesichtigung versprüht etwas aristokratischen Geist. Es ist erstaunlich, wie viele Facetten Majewski seinen Themen abgewinnt – insbesondere als wunderschöne Streicherelegie während der ersten Nacht in Gripsholm. Somit fließt die vollständige Musik mit gut 20 Minuten Laufzeit als unbeschwertes Hörvergnügen dahin. Die Gaunerkomödie GANOVENEHRE von Wolfgang Staudte gab Hans Martin Majewski erneut Gelegenheit für die Komposition eines seiner geliebten Musette-Walzers mit dem Titel „Wir fahren nach Paris“. Neben einer Spannungspassage, in der die heitere Akkordeon-Melodie durch elektronisch verfremdete Klänge und unheimliche Glissandoeffekte hindurchblitzt, ist keine weitere Musik auf der Kollektion enthalten. Mit RHEINSBERG verfilmte Hoffmann eine weitere Tucholsky-Erzählung, in der ein junges Paar während seines Urlaubs mit den Tücken der Liebe konfrontiert wird. Majewskis Musik ist zwar ähnlich heiter im Charakter wie seine Vertonung von SCHLOSS GRIPSHOLM, aber mit vollkommen anderen Mitteln realisiert. Das charmante Hauptthema im schnellen Walzertempo gehört zu den schönsten Kreationen Majewskis und bleibt auch lange nach dem hören im Gedächtnis. Es wird zu Beginn des Films vom Klavier über die dezente Begleitung der Rhythmusgruppe vorgestellt und mit einigen jazzigen Improvisationen fortgeführt. Gekrönt wird dieses Arrangement von dem wunderschönen, mollgetrübten Kontrapunkt der Violinen. Später erklingt das Hauptthema als Akkordeonsolo über sanfte Streicherteppiche, bevor es zum Finale wieder vom Klavier vorgetragen wird. Insgesamt bietet RHEINSBERG ein rundum glücklich machendes Hörvergnügen. Die von Kaskaden des Klaviers und des Fagotts durchzogene Musik für ein Tennisspiel und die geschäftige Musik für den Umsteigebahnhof Loewenberg lassen mit dem Fuß wippen, die Musik zur Kleinbahnfahrt atmet mit den motorischen Rhythmuszellen der Streicher und des Klaviers, den mechanischen Fagottquarten und den süffisanten Einwürfen der Streicher sogar einen Hauch Strawinksy und in der musikalischen Untermalung einer Kutschfahrt lässt sich Majewski mit ordentlich knallender Peitsche sogar zu etwas Illustration herab. Im Gegensatz zu SCHLOSS GRIPSHOLM ist die Musik zu RHEINSBERG leider nicht vollständig auf dem CD-Set vertreten. Sehr schade, ich hätte gern noch mehr von dieser wundervoll erfrischenden Musik gehört. Aus dem Kriegsdrama DIE HINRICHTUNG – TOD EINES FREMDEN sind keine Originalaufnahmen in dieser Sammlung enthalten. Stattdessen ist dieses Spätwerk mit einem kommerziellen Arrangement des Hauptthemas, das sich nicht zu ähnlichen Bearbeitungen einzelner Hauptthemen aus amerikanischen Filmen für kommerzielle Zwecke unterscheidet. Ein sanfter Rhythmus des Schagzeugs, fluffige Violinlinien und E-Gitarre als Melodieinstrument bestimmen den wenig fordernden Höreindruck. Den Abschluss dieser hochkarätigen Sammlung macht die anscheinend vollständige Komposition zu der TV-Produktion DER SCHIMMELREITER nach Theodor Storms berühmter Novelle. Hans-Martin Majewski instrumentierte seine Musik für einen großen Streichapparat, Akustik-Gitarren, E-Bass, Harfe, Akkordeon und einen Klarinettisten. Die Soloinstrumente verleihen der Musik einen folkloristischen, macnhmal gar rustikalen Anstrich, während die Streicher für die nötige Klangfülle sorgen. Den Kern der Musik bildet ein ausladendes und sangliches Hauptthema, mit dem Majewski weite Strecken komplett melodisch gestalten kann. Es erklingt schwelgerisch in den Streichern oder wird solistisch von einer Violine, einer Viola oder einem Cello über reduzierte Begleitung vorgetragen. Auch vom Akkordeon wird das Hauptthema intoniert und zu den schönsten Darbietungen dieser Melodie gehört ohne Frage ein Arrangement für Gitarrenensemble. Dem Hauptthema wird eine weitere, etwas fahle Melodie für die geisterhaften Elemente der Schauergeschichte gegenübergestellt. Es erklingt häufig unisono in der Bassklarinette und dem E-Bass und wird von stacheligen Pizzicati der Streicher flankiert. Abgerundet wird die Musik mit drei folklorstischen diegetischen Stücken aus dem Dorfleben, die den Hörfluss angenehm auflockern. Insgesamt bestreitet Majewski seine Partitur fast ausschließlich mit dem Haupt- und dem Geisterthema. Für aggressive Action ist hier ebenso wenig Platz wie für typische Suspensepassagen. Der durchgehend lyrische Charakter wird von der weichen Besetzung unterstützt.
  2. Ach wo, mehrere Ansichten sind doch immer gut
  3. Also wenn man gerne "Filmmusik" im "klassischen" Sinne hört, ist die Haentzschel-CD wahrscheinlich von allen vier CDs am geeignetsten , denn die anderen Alben enthalten recht viele instrumentale Arrangements von Filmschlagern. Danke für den Majewski-Beitrag! Mit der Box habe ich mich diese Woche noch einmal auseinandergesetzt. Wahrscheinlich startet eine komplette Übersicht über die enthaltenen Musiken noch dieses Wochenende.
  4. Der 1907 in Berlin geborene Georg Haentzschel avancierte in den 1920er-Jahren zu einem der bedeutendsten deutschen Swingpianisten. Er arbeitete seit einiger Zeit als Assistent von Theo Mackeben, bis er 1937 mit DIE GÖTTLICHE JETTE seine eigene Filmmusik schrieb. In den folgenden Jahren arbeitete Haentzschel eng mit dem Regisseur Josef von Baky zusammen und leitete außerdem das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester. Der Unterhaltungsmusik blieb erauch nach Kriegsende treu, wobei er im Laufe seines Lebens zusätzlich mehrere Beiträge zur so genannten „ernsten Musik“ leistete. In der vierteiligen Reihe mit der Musik deutscher Filmkomponisten aus dem Hause Capriccio wird auch Haentzschels filmmusikalisches Schaffen auf mit einem Album beleuchtet. Mit VIA MALA durfte Haentzschel einen der beeindruckendsten Filme betreuen, die zur Zeit des so genannten „Dritten Reiches“ entstanden sind. Die düstere Geschichte über eine vom alkoholabhängigen Vater tyrannisierten Familie und dessen mysteriöser Todesfall wartet mit beklemmenden Bildern und intensiven Darstellern auf. In Anbetracht des Entstehungsjahrs 1945 drängen sich unmittelbar Parallelen zu einem historischen Tyrannen auf, aber das Ende ist ganz nach nationalsozialistischer Linie gebürstet: Der Mörder wird von seiner Schuld freigesprochen. Nicht, was das Gesetz verbietet, sondern was der überlegende Geist gebietet, ist entscheidend. Das Ende wurde für Fernsehausstrahlungen in der DDR dann auch so umgeschnitten, dass man meinen kann, der Mörder stürze am Ende selbst in den Tod. Die Musik zu VIALA MALA eröffnet die Kollektion in Form einer vom Komponisten selbst zusammengestellten Suite, die alle wichtigen Passagen enthält. Das schwelgerisches Spiel der Streicher lassen weite blühende Almlandschaften vor dem geistigen Auge entstehen und das langsam erwachende, sich von zarten Holzbläsern zum großen Orchestertutti steigernde Liebesthema dürfte zu den schönsten Einfällen des Komponisten überhaupt zählen. Freunde konservativer und orchestraler Filmvertonungen kommen hier besonders auf ihre Kosten. Auch die furiose Gewitter-Musik, die zwar den Vorspann, aber nicht die Suite eröffnet, und mehrfach im Film wiederkehrt, verrät den kundigen Handwerker. Grelle, von Beckenschlägen akzentuierte Blitze der dissonanten Blechbläser und pfeifende Windstöße der Violinen und Holzbläser über einem grollenden Paukenwirbel lassen einem einen Schauer den Rücken herunter laufen. Verhängnisvolle Posaunenakkorde über scharf akzentuierte Streicherrhythmen lassen böses ahnen, dann bricht noch einmal das Gewitter mit aller Vehemenz herein. Das Liebesthema beendet kraftvoll diese beeindruckende Tour-de-Force, die nicht nur einen der besten Filmen des NS-Kinos begleitete, sondern auch zu den Glanzlichtern in Haentzschels Schaffen zählt. Zu Haentzschels bedeutendsten Arbeiten im Filmbereich gehört sicherlich die Musik zu dem prachtvollen Film MÜNCHHAUSEN, den Joseph Goebbels zum 25-jährigen Bestehen der UFA in Auftrag gab und der nach KOLBERG die zweitteuerste Filmproduktion des natioansolzialistischen Kinos blieb. Der charmante Film ist auch heute noch wegen für die Zeit beeindruckenden Spezialeffekten, prächtiger Ausstattung und der raffinierten Rahmenhandlung geschuldet ist. MÜNCHHAUSEN wartet zu Kriegszeiten mit einer überraschend versöhnlichen Darstellung des russischen Volkes auf, die sich über den Charakter der von Brigitte Horney gespielten Zarin Katharina, einer ursprünglichen deutschen Prinzessin von Anhalt-Zerbst, erschlichen wird. Trotz einer beachtlichen Laufzeit von knapp zwei Stunden enthält der Film relativ wenig Musik. Wie auch zu VIA MALA stellte der Komponist eine Suite aus einzelnen Titeln seiner Filmmusik für den Konzertgebrauch zusammen. Diese beginnt mit der Musik, die zu Beginn von Baron Münchhausens Erzählung erklingt und mit einer warmen Klarinettenmelodie in bester „Es-war-einmal“-Manier eröffnet wird. Zarte Streichertremoli suggerieren die gespannte Erwartungshaltung des Publikums, bevor das von der Klarinette vorgestellte Thema auch in mittlerer Lage von den Violinen vorgetragen wird. Haentzschel schuf hier zwei Minuten feine und lyrische Musik, getragen von sattem Streicherklang und zarten Holzbläsern. Es folgen zwei quasi-diegetische Passagen. Der Tanz auf dem russischen Jahrmarkt erinnert mit seinem energischen Rhythmus und den strahlenden Bläsern ein bisschen an Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in der Orchestrierung von Maurice Ravel, die hier offensichtlich Pate gestanden haben. Der neckische Mittelteil begleitet die Begegnung Münchhausens mit der Zarin Katharina, die sich, als einfaches Bauernmädchen verkleidet, unters Volk gemischt hat. Die Rokoko-Szene vertont mit den klassizistisch anmutenden Streichern und dem trillerlastigen Cembalozwischenspiel das vergnügte und sorglose Leben bei Hofe. Es folgt das Herzstück der Musik: Die furiose Titelmusik, die ähnlich zu anderen Produktionen dieser Zeit mehrmals im Film verwendet wie bei der spektakulären Entführung der Prinzessin. Weniger aggressiv als die Gewittermusik aus VIA MALA, aber ähnlich virtuos ist die Titelmusik weniger heroisch als tollkühn. Drängende Blechakkorde und quirlige Streicher zeugen von der Unternehmungslust des Protagonisten, nicht ohne das nötige Augenzwinkern zu vernachlässigen. Nach einer kurzen atmosphärischen Zwischenpassage schließt das schwelgerische Liebesthema an. Hier in Form der ausladenden Barcarole, die die Ankunft Münchhausens in Venedig begleitet. Der im Film zu hörende vokalisierende Chor ist auf der Aufnahme nicht vertreten. Münchhausens Aufenthalt auf dem Mond gehört zu den beeindruckendsten Szenen des Films, für die Haentzschel eine möglichst befremdliche und kühle Musik schuf. Einzelne Phrasen der Holzbläser werdden in gläserne und lang gehaltene Streicherklänge verwoben, durch die anschließend eine Klarinette ein längeres und rhapsodisch gestaltetes Solo spinnt. Anschließend zeugt das elegische Spiel der Streicher von Münchhausens Trauer um seinen langjährigen Freund und Begleiter Christian. In der Musik zur Schlussszene, in der Münchhausen seiner ewigen Jugend entsagt, leitet eine schwelgerischen Darbietung des Liebesthemas zu einer Reprise von „Münchhausens Erzählung“ über, die nun um eine triumphale Coda ergänzt wurde. Die Musik zu MÜNCHHAUSEN ist ebenso charmant wie der Film, den sie begleitet. Haentzschel stellte aus seiner Musik eine abwechslungsreiche Suite zusammen, die aber durch die unterschiedlichen Stile – romantische Anklänge in der Eröffnungsszene, russische Volklore, Rokoko-Stilkopie etc. – recht heterogen wirkt. VIA MALA bleibt da das rundere Hörerlebnis, aber in Sachen Handwerk und Hörspaß steht ihr die MÜNCHHAUSEN-Musik, die ebenso kunterbunt ist wie der Film, in nichts nach. Den größten Platz auf dem Album nimmt die Suite aus dem Nachkriegsfilm ROBINSON SOLL NICHT STERBEN in sieben Sätzen ein. Die beiden Ecksätze versprühen durch ihre mit Flötenklängen gemischten und verhallten Vokalisen über flirrende Harfenglissandi eine merkwürdige Mischung aus Entrücktheit und Fernweh. Für die Kinder aus einem Londoner Armenviertel komponierte Haentzschel eine rustikale Musik mit brummenden Bordunbässen, kratzigen Fidelklängen und rustikalen Holzbläserfiguren. Auch die Musik zu den Kinderstreichen ist mit den robusten tiefen Holzbläserklängen und dissonanten Lautmalereien angenehm derb geraten. Dem folkloristischen Tanz im Gefängnishof steht ein prachtvolles Menuett gegenüber, das am Hofe des Königs erklingt. Den Abschluss machen schließlich noch drei Titelmusiken zu weiteren Nachkriegsproduktionen. Die Musik zu EMIL UND DIE DETEKTIVE wartet mit einigen charmanten Einfällen auf: dissonante Fanfaren und schrille Klarinettenklänge verleihen der Komposition einen ironischen Anstrich und die das Hauptthema garnierenden Xylophonfiguren lassen die Abenteuerlust der Kinderbande spüren, bevor ein gemütlich vor sich hintrottender Mittelteil beginnt. Das Thema zu MEINE KINDER UND ICH gehört sicherlich nicht zu Haentzschels größten Würfen. Es ist aber nett anzuhören und schlägt nach einer Minute in offensichtliches Mickey-Mousing mit hohen Fagotttrillern und Streicher-Harfenglissandi um. HOTEL ADLON eröffnet mit kraftvollen Blechakkorden, die von ornamentalen Girlanden der Holzbläser verbunden werden, bevor die Streicher das ausladende Hauptthema vorstellen. Eine agile Passage mit schnellen Holzbläsern und dezenten Einwürfen der kleinen Trommel und gestopften Trompeten leitet zum Mittelteil über, in dem die von solistischen Streichern dargebotenen Anfangstöne des Hauptthemas immer wieder von den Holzbläsern durchbrochen werden. Eine erneute Darbietung des Themas vom ganzen Streicherapparat beendet das Stück. Mit dem Album zu Filmmusiken von Frank Haentzschel leistete das Label Capriccio einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung des deutschen Filmmusikerbes. Indem auf Konzertsuiten zurückgegriffen werden konnte, die der Komponist selbst für ähnliche Zwecke erstellt hatte, sind die VIA MALA, MÜNCHHAUSEN und ROBINSON SOLL NICHT STERBEN ausgewogen präsentiert. Der letzte Block mit drei Titelmelodien bildet eine willkommene Zugabe. Die Musik ist durchweg von hoher handwerklicher Qualität und wird durch die Aufnahmen angemessen repräsentiert. Insofern kann ich diese CD jedem empfehlen, der sich für orchestrale Filmmusik mit leicht zugänglichen Themen und Melodien begeistern kann.
  5. Georg Haentzschel! - Wahrscheinlich am Wochenende. Tatsächlich war mir lange nicht klar, dass es auch Grothe- und Jurmann-Alben geben muss, aus denen dann die Capriccio-Box zusammengestellt wurde. Habe jetzt mal die Sammlung komplettiert. Aber vieles von Grothe und Jurmann wurde ja bereits oben besprochen, deswegen lasse ich es dann mit den Capriccio-Sachen gut sein und in die Nachkriegszeit gehen.
  6. Wahnsinn!! Diese Originalaufnahmen sind mir noch nie untergekommen. Ich frage mich, ob man das Album auch auf CD irgendwo bestellen kann... und vor allem, wo die die Aufnahmen her haben! Ich würde natürlich einiges dafür geben, endlich einmal die Musik zum "Strandausflug" am Besten in einer Neueinspielung zu haben: Eine der (zahlreichen) stärksten Szenen des Films, in der sich die merkwürdige Entrücktheit von OPFERGANG auch gerade in der Musik manifestiert. Ein einfacher Ausritt am Strand bekommt plötzlich eine mythologische Dimension. Wenn man bedenkt, dass der Film letzten Endes "nur" eine Dreiecksliebesbeziehung in der höheren Gesellschaft Hamburgs schildert, kann man kaum glauben, was Borgmann für dieses opulente Melodram geschrieben hat. Aber die absolute Überhöhung des Melodramatischen war ja Harlans Stärke und auch seine besondere Vorliebe.
  7. Theo Mackeben gehörte zu einem der profiliertesten Komponisten im „Nicht-E-Musik-Bereich“ der 30er- und 40er-Jahre. Mackeben, der sich nach dem Studium erst als Pianist etablierte, gelang rasch der Aufstieg ins Dirigentenfach und leitete 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper. Während der Zeit des so genannten „Dritten Reiches“ komponierte Mackeben die Musik zu zahlreichen Spielfilmen, aber auch musikalische Lustspiele. Außerdem komponierte Mackeben neben einem Klavierkonzert und zahlreichen Schauspielmusiken auch die beiden bis heute nicht aufgeführten Opern „Manuela“ und „Rubens“ sowie ein „Hiob“-Oratorium. Das Label Capriccio hat den Komponisten mit einem Album geehrt, auf dem Auszüge aus neun Spielfilmen und zwei Operetten vertreten sind. Auch hier muss man wieder das sehr naive Begleitheft kritisieren, das vom Berlin der 30er-Jahre zynischerweise das Bild einer vor unterschiedlichen kulturellen Strömungen sprühenden Metropole zeichnet. Das trifft höchstens auf die ersten drei Jahre des Jahrzehnts zu… Bei der Anordnung der einzelnen Ausschnitte wurde nicht auf Genre oder Entstehungszeit der Filme geachtet, sondern ein buntes Potpourri zusammengestellt. Für DAS MÄDCHEN IN WEISS, einem im zaristischen Russland angesiedelten Historienfilm, komponierte Mackeben 1936 das Lied „Ich bin auf der Welt, um glücklich zu sein“ im mäßigen Dreivierteltakt, das auf der CD mit einer zuckersüßen Instrumentalvariante inklusive Glockenspiel und dezenter Schlagzeugbegleitung zu hören ist. Im Gegensatz zu seinen karrieristischen Kollegen Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner und Gustav Ucicky war Regisseur Karl Ritter ein Nationalsozialist der ersten Stunden. Bereits 1925 der NSDAP beigetreten, produzierte er im Jahr der „Machtergreifung“ HITLERJUNGE QUEX und inszenierte in den folgenden zwölf Jahren zahlreiche vor nationalsozialistischer Ideologie strotzende Filme, darunter die mit beeindruckenden Luftkampfszenen aufwartenden Filme STUKAS und POUR LE MÉRITE und weitere Propagandafilme wie KADETTEN, IM KAMPF GEGEN DEN WELTFEIND, LEGION CONDOR sowie …ÜBER ALLES IN DER WELT. Auch der 1937 von Ritter inszenierte Film PATRIOTEN über einen in Frankreich abgestürzten deutschen Flieger, der sich einer französischen Schauspieltruppe anschließt, ist ein eindeutig politisch motivierter Film. Die Hauptrolle spielt Mathias Wiemann, der sich drei Jahre später in der Rolle des Kinderarztes Dr. Bernhard Lang in Liebeneiners ICH KLAGE AN! für die Euthanasie begeistern lässt. PATRIOTEN kann in Hinblick auf Ritters, Wiemanns und Mackebens Schaffen als unbedeutend eingestuft werden, dennoch enthält die CD einen knappen Auszug aus der Musik, nämlich das Marschlied „Paris, Du bist die schönste Stadt der Welt“ im hüpfenden 6/8-Takt in einer schmissigen Interpretation. In TANZ AUF DEM VULKAN spielt Gustav Gründgens die historische Figur des Schauspielers Jean-Gaspard Deburau, einem der interessantesten Filmprojekte des NS-Star-Regisseurs Hans Steinhoff, der sich auch für Propagandafilme wie HITLERJUNGE QUEX, OHM KRÜGER und ROBERT KOCH verantwortlich zeichnete und die erste GEIERWALLY drehte. Bei Goebbels stieß TANZ AUF DEM VULKAN auf Missfallen, der von Mackeben komponierte Schlager „Die Nach ist nicht zum Schlafen da“ soll ihm gar nicht gefallen haben. Die CD enthält allerdings keine Instrumentalversion des Schlagers, sondern mit der sechsminütigen „Ballettszene“ die Musik zu einer Schlüsselszene des Films. Das äußerst elegante Walzerthema hat dabei ebenso viel Ohrwurmpotential wie viele andere Schlagermelodien aus Mackebens Feder und gehört in diesem anmutigen Arrangement zu den Höhepunkten der Kollektion. Das im selben Jahr entstandene und in einer kleinen wilhelminischen Stadt angesiedelte Melodram HEIMAT ist stark propagandistisch gefärbt. Heute dürfte es vor allem wegen der abstrusen Interpretation einer Arie aus Bachs Matthäus-Passion durch Zarah Leander von Interesse sein. Mackeben, der für Leander mehrere berühmte Schlager komponierte, durfte hier das schwungvolle Walzerlied „Eine Frau wird erst schön durch die Liebe“ auf das dunkle Timbre der Schwedin schneidern. Auf der CD außerdem das ebenfalls von Leander interpretierte Lied „Drei Sterne sah ich scheinen“ enthalten. Die schlichte Weise gehört zu den schönsten Tonschöpfungen auf dieser Kollektion und brilliert durch das stimmungsvolle Arrangement, dem das Cembalo als Begleitinstrument für die solistischen Bläser und die Solovioline der Musik einen zerbrechlichen Anstrich verleiht, während die Streicher anschließend in dunklen Farben aufblühen. Das Verhältnis zum Jazz im nationalsozialistischen Deutschland war äußerst ambivalent. Zwar diese Musikrichtung als „entartet“ diffamiert und verboten worden, auf der anderen Seite lassen sich in der Unterhaltungsmusik dieser Zeit zahlreiche Jazz- und Bigband-Einflüsse ausfindig machen. In dem Film Käutner-Film WIR MACHEN MUSIK darf Ilse Werner sogar als Frontfrau einer weiblichen Jazzcombo brillieren. Teilweise wurde sogar offensichtlich auf Formen und Tänze der amerikanischen Unterhaltungsmusik zurückgegriffen wie im Falle des „Foxtrott“, den Mackeben für die Satire BEL AMI komponierte. Das zwei Minuten lange und pompös eingeleitete Stück wartet mit einer gefälligen Melodie und einem beschwingten Grundgefühl auf. 1940 erlebte das musikalische Lustspiel „Anita und der Teufel“ seine Uraufführung. Das Lied „Bei Dir war es immer so schön“ gehört neben der Ballett-Musik aus TANZ AUF DEM VULKAN zu den schönsten melodischen Einfällen auf dieser Kollektion. Von der zurückhaltenden Rhythmusgruppe begleitet und auf sanfte Streichertöne gebettet, erklingt das Thema zuerst in der von der Flöte umgarnten Oboe und wird anschließend von den Violinen ausgespielt. Nach einem kurzen Mittelteil erklingt es noch einmal in der Trompete. „Amorcito mio“ versprüht mit rumbahnlichen Bongorhythmen, Claves und dem Bandoneon als Soloinstrument angenehm exotisches Flair. Auch hier bewegt sich alles in der angemessen zahmen Beschwingtheit, an keiner Stelle wird es richtig feurig. Im selben Jahr wie „Anita und der Teufel“ komponierte Mackeben auch die Musik zum Historienfilm DAS HERZ DER KÖNIGIN mit Zarah Leander als Maria Stuart. Der Film, der auf propagandistischer Ebene hauptsächlich antibritische Tendenzen enthält, wurde ein Misserfolg und wird zu den schwächsten Leander-Filmen gezählt. Theo Mackeben komponierte für den Film insgesamt fünf Lieder, von denen er drei für eine orchestrale Fantasie auswählte. Die „Fantasie über drei Lieder“ beginnt schwelgerisch mit der Melodie aus „Wo ist Dein Herz?“ und mündet in von Streichergirlanden umsponnenen Blechfanfaren. Die Melodien zu „Ein schwarzer Stein“ und dem „Schlummerlied“ werden als gefühlvolle Violinsoli vorgetragen, an die jeweils zwei höfisch anmutende Passagen erklingen. Eine Reprise der schwelgerischen Darbietung von „Wo ist Dein Herz“ beschließt das Stück. Neben triefenden Propagandafilmen inszenierte Karl Ritter auch einige heitere Filme, so auch den 1000. Film der UFA: BAL PARÉ. Für die im Wien um die Jahrhundertwende spielende Handlung konnte Mackeben zahlreiche Walzermelodien und –lieder komponieren. Die Walzersuite „Münch’ner Geschichten“ ist ein klingendes Fest im Dreivierteltakt. Der heitere Schlager „Frauen sind keine Engel“ aus dem gleichnamigen Film von 1943 beginnt mit einer sentimentalen Einleitung auf, bevor die gefällige Melodie von süffigen Violinen über die dezente Begleitung der Rhythmusgruppe erklingt. Das Album beschließt mit einer Nummer aus Mackebens vorletzter Operette „Der goldene Käfig“: einem „Walzer der Freunde“, der mit seiner von Harfenglissandi durchzogenen Walzermelodie einen gelungenen Abschluss dieses Albums bildet. Insgesamt lohnt sich diese CD für alle, die an süffig arrangierten eingängigen Melodien ihre Freude haben. Dieses Album kann auch gut nebenbei beim Aufräumen, Kochen, Essen etc. laufe lassen oder man gibt sich eine Stunde dem Genuss all dieser duftenden musikalischen Parfümwolken hin – aber Vorsicht! Irgendwann wird man doch ein bisschen benebelt von all dem Wohlklang.
  8. Ohne dieses Fass jetzt komplett aufmachen zu wollen: Der Umgang mit dem NS-Filmerbe in Deutschland ist kritikwürdig, geradezu peinlich. Offensichtliche Propaganda wird weggesperrt oder nur in kommunalen Kinos mit einem Einführungsvortrag aufgeführt, in der dann ein Referent darauf hinweist, dass gleich ein Nazi-Film zu sehen ist, und anschließend sieht man die Hakenkreuze auf der Leinwand. Filme, die nicht so offensichtlich mit Symbolen arbeiten, wurden ohne große Probleme weitervertrieben und sind zuhauf auf DVD veröffentlicht. Notfalls hat man einfach Hakenkreuze und Hitlergrüße rausgeschnitten, um weiter Geld mit den Filmen zu verdienen. Ich habe ja mal im Film-Thread hier DIE UMWEGE DES SCHÖNEN KARL besprochen: Das "Verbot" von Propagandafilmen dieser Zeit ist durch das Internet ohnehin obsolet geworden. Wer es unbedingt darauf anlegt, hat JUD SÜSS als DVD im Regal. Wer auf solche Sammler-Dinge keinen Wert legt, guckt sich eine der zahlreichen Fassungen auf youtube an. Ich bin absolut gegen Verbote und dafür, diese Dokumente verfügbar zu machen. Denn so bildet sich um diese Streifen auch ein unverdientes Mysterium. Mehrere Leute, mit denen ich mal JUD SÜSS gesehen habe, waren nach dem Film ganz ernüchtert, dass es sich bei dem Streifen einfach "nur um einen Historienfilm mit einigen jüdischen Karrikaturen" handelt und nicht eben das hypnotische, sagenumwobene "subtile filmische Gift". Ich finde aber, dass ein großer Unterschied zwischen der Aufbereitung vorhandener Filmmaterialien (zumal die Murnau-Stiftung ja über ein JUD-SÜSS-Digitalisat für Bildungszwecke verfügt) und der Neueinspielung solcher Musiken besteht - selbst wenn Gentners HEIMKEHR-Partitur noch irgendwo existiert. Also da kann ich vollkommen verstehen, dass da nie was kommen wird - und man darf sich auch zurecht aufregen, wenn so etwas getan worden wäre. Ja, die Titelmusik zu JUD SÜSS präsentiert ein schweres, gewichtiges Blechthema, bevor dann die Streicher nur einen Liegeton aushalten, über den jüdischer Gesang einsetzt. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Gesang wirklich von einem jüdischen Geistlichen intoniert wurde. Während beim Vorspann "Musik: Wolfgang Zeller" eingebllendet wird, blendet ja auch der schwarze Hintergrund kurz auf und man sieht den Darsteller des Rabbis aus dem Film in einer Tempelanlage singen (Er singt ja später auch beim "Einzug der Juden" in Stuttgart). Vielleicht war er das im Vorspann auch. Fakt ist jedenfalls, dass Harlan die Dreharbeiten tatsächlich mit jüdischen Ghettobewohnern als Staffage durchgeführt hat. Der Gesang kollidiert dann ja auch mit dem erneut einsetzenden Blechthema, das schließlich durchbricht, bevor dann "All mein' Gedanken, die ich hab'" sanft in den Streichern und der Flöte einsetzt. Dieses Lied fungiert ja als Liebesthema für das "reine, arische" Paar und wird von Kristina Söderbaum und Malte Jaeger musiziert. Diese Musik, vor allem die Nachbildung des Gesangs eines für die Dreharbeiten ausgebeuteten jüdischen Darstellers, der das "Dritte Reich" wahrscheinlich nicht überlebt hat, von einem "Fachmann" nachstellen zu lassen, wäre mehr als zynisch und Empörung mehr als angebracht. Der Filmhistoriker Hans Schmid hat mit seiner Artikel-Reihe "Das Dritte Reich im Selbstversuch" zahlreiche hervorragende Analysen vieler Vorbehaltsfilme und vor allem dem peinlichen Umgang mit diesem Filmerbe im Nachkriegsdeutschland verfasst: https://www.heise.de/tp/features/Der-Fuehrer-ist-sehr-eingenommen-3381348.html https://www.heise.de/tp/features/Schuldspruch-fuer-einen-Film-3381350.html An dieser Stelle aber auch mal ein (seltenes) Lob an die Murnau-Stiftung: deren Veröffentlichung von OPFERGANG ist vortrefflich geraten! Die Blu-Ray sieht fantastisch aus und vor allem enthält die Ausgabe zwei unterschiedliche Schnittfassungen des Films! So etwas würde ich mir für zahlreiche Filme dieser Epoche zu Studienzwecken wünschen.
  9. Naja, gut, aber das würde ja nun auch niemand neu einspielen wollen, ebenso wie Willy Schmidt-Gentners HEIMKEHR, wobei der eine fantastische Titelmusik hat - könnte glatt von Max Steiner sein. Von Schultzes härtesten Propagandamusiken KOLBERG und ICH KLAGE AN hat auch nichts mehr überlebt bis auf ausgekoppelte diegetische Musik (das "Lied am Webstuhl" sowie das "Trio"). Aber klar, solche Sachen wie OPFERGANG wären der absolute Wahnsinn, nur habe ich bisher auch noch keinerlei Hinweise auf Partituren von Borgmann entdecken können. Aber keine Sorge, Majewski und der besagte Zeller werden hier natürlich auch noch bedacht ;).
  10. Ja, theoretisch gibt es viel zu tun, aber ich schätze nicht, dass da noch viel kommen wird. Ich werde noch zwei weitere Alben aus der Reihe von Capriccio vorstellen, die aber schon vor langer Zeit produziert wurde. Und was die Neueinspielung von Originalfilmmusiken angeht, sehe ich schwarz. Einmal sind zahlreiche Partituren im Krieg verloren gegangen (was würde ich für einen neu aufgenommenen OPFERGANG von Borgman geben...) und dann haben wir da ein riesiges idieologisches Problem. Wobei Capriccio die Sache ja auch nicht elegant gelöst hat mit dem kompletten Wegignorieren der politischen Umstände.
  11. Lieber Oli, tausend Dank für diese sehr offenen und differenzierten Worte! Wenn ich jetzt nicht so umfangreich antworte, dann deshalb, weil ich das gerne einfach so stehen lassen möchte. Ich kann genau nachvollziehen, was Du meinst. In der Tat ist es schön, dass wir alle unterschiedlich empfinden und hören, weil es ja einerseits Überschniedungen gibt und andererseits ein aktiver Austausch dazu beitragen kann, dass man sich auch Dingen nähert oder sie begreifen kann, bei denen man früher ratlos war. Aber hier noch eine Frage und nur um des Verständnissen Willen: Geht es nicht immer um's Hören bzw. sind es nicht gerade die Details, die uns freuen oder berühren? Eben wie Oli sie beschreibt. Sonst würde er ja von jedem Stück, "das so klingt wie Horner" emotional berührt werden, aber anscheinend sind es ja eben Details (in diesem Fall: Horners Eigenarten), die seine erstmal "orchestrale Filmmusik" für Oli so emotional zugänglich macht. Wie gesagt: Ih frage hier nur nach, um besser nachvollziehen zu können, wie ihr empfindet.
  12. Aber - und das ist jetzt auch ganz ernst gemeint - Du liest und diskutierst doch hier mit. Dann scheint es doch noch mehr für Dich zu geben, als Musik "nur zu hören".
  13. Da würde mich aber umgekehrt eine Definition von "Herz" interessieren , denn gerade bei Gordon und Greenwood höre ich das Herz deutlich heraus. In deren Musik steckt einfach so viel Liebe für's Detail, das eben einen Musiker auszeichnet, der voll und ganz in der Materie aufgeht. Viele Aspekte dieses Zaubers hat Sebastian ja häufig aufgeschlüsselt (wie zuletzt beim Gordon-Stück).
  14. Nachdem wir nun bereits ein Sammelthema zur italienischen (Genre-)Filmmusik und der Musik zu osteuropäischen Ländern haben, hat uns Angus Gunn vor einigen Monaten mit einem Thread über deutsche Fernsehfilmmusiken bereichert. Ich halte es für angebracht, auch ein Thema für die deutsche Kinofilmmusik zu eröffnen und hoffentlich zu befüllen. Jeder ist eingeladen, Filmmusik aus deutschen Landen hier vorzustellen und zu diskutieren. Ich mache mal den Anfang mit Die großen deutschen Filmmelodien Die frühen Jahre des deutschen Tonfilms sind ein ebenso interessantes wie tragisches Kapitel. Kaum hatten die Bilder auch in Deutschland sprechen gelernt, sahen sich etliche Filmschaffende aus politischen Gründen gezwungen, Deutschland zu verlassen. Ein Berufsverbot für jüdische Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseure, Autoren und Komponisten schlug erhebliche Lücken in die zuvor blühende Filmlandschaft. Die allgemeine Darstellung der filmischen Entwicklung ist oft ebenso schwarzweiß geraten wie die Filme selbst: Das Weimarer Kino wird zu einer fortschrittlichen und grandiosen Kunstepoche erklärt, das deutsche Kino von 1933 bis 1945 als öder Sumpf platter Verwechslungskomödien und plumper Propagandafilme – eine Darstellung, die in Anbetracht solcher furchtbar langweiligen Weimar-Klamotten wie MORITZ MACHT SEIN GLÜCK ebenso wenig aufrecht erhalten werden kann wie Veit Harlans grandiosem OPFERGANG oder Helmut Käutners GROSSE FREIHEIT NR. 7. Auf der anderen Seite wird das NS-Kino auch gerne in Anbetracht einer Vielzahl von schillernden Revuefilmen und (propagandistisch aufgeladener) Kostümfilme gerne als „Traufabrik“ und dem amerikanischen Hollywoodfilm ebenbürtig angesehen. Wie immer liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte und ist ein differenzierter Umgang mit der Materie erforderlich. Die vorliegende Sammlung „Die großen deutschen Filmmelodien“ des Labels Capriccio vereint Musik aus dem Kino der Weimarer Republik, der NS-Zeit sowie dem west- und ostdeutschem Nachkriegsfilm. Die insgesamt 28 Filme sind jeweils mit einem Titel bedacht und bunt gemischt. Wie der Album-Titel schon erkennen lässt, liegt der Fokus auf dem melodischen Aspekt, sodass hier kaum Suiten der extradiegetischen Filmmusik, sondern hauptsächlich eingängige Filmschlager in instrumentalen Arrangements vertreten sind. Hinsichtlich des hohen Prozentsatzes der vertretenen Kompositionen aus der NS-Zeit ist das Album bedenklich unpolitisch gestaltet. Die jeweils eine Seite des Einlegers füllenden Begleittexte begnügen sich mit allgemein gehaltenen Angaben zum Stellenwert des Schlagers im frühen Tonfilm und einiger stilistischer Aspekte. Besonders peinlich wird es, wenn erwähnt wird, dass Komponist Werner Richard Heymann sogar Mitte der dreißiger Jahre für Hollywood gearbeitet hätte. Es ist fraglich, ob Heymann dies auch getan hätte, wenn er nicht bei der UFA seine Arbeit verloren und nicht hätte emigrieren müssen. Von Heymann ist dann ironischerweise kein einziger Titel in dieser Sammlung vertreten, stattdessen vereint sie Werke von Theo Mackeben und Georg Haentzschel, zu deren Filmmusiken bei Capriccio auch jeweils ein Sampler erschienen ist, sowie Franz Grothe und Walter Jurmann. Fast sämtliche Stücke können der gehobenen Unterhaltungsmusik zugeordnet werden. Zwar werden die eingängigen Melodien oftmals durch einige Kniffe und die farbenreiche Orchestrierung vor der gefährlichen Schlingfalle der Banalität gewahrt, dem „Kenner“ bleibt allerdings genug Gelegenheit, die Nase über das hohe Kitschpotential zu rümpfen. Oftmals finden sich Anklänge an populäre Tanzformen wie die rassigen Tangorhythmen zu „Du bist nicht die Erste“ aus IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE und „Schade, dass die Liebe ein Märchen ist“ aus MELODIE DER LIEBE von Walter Jurmann, der wie viele seiner Kollegen 1933 das Land verlassen musste und über Paris nach Hollywood emigrierte. Die berühmte Melodie zu „Tränen in der Geige“ aus ICH WILL DICH LIEBE LEHREN, die auf dieser Kollektion bravourös von dem titelgebenden Instrument vorgetragen wird, gehört zu den Höhepunkten dieser Sammlung. Jurmann ist interessanterweise auch mit drei Titeln vertreten, die für amerikanische Produktionen entstanden sind. „In the spirit of the moment“ aus HIS BUTLER’S SISTER ist eine sentimentale Nummer, in der das getragene Thema über dem dezent durchschimmernden Habañera-Rhythmus vorgetragen wird und die fröhliche Tarantella „Cosi Cosa“ aus A NIGHT AT THE OPERA könnte tatsächlich als neapolitanisches Volkslied durchgehen. Die Titelmelodie aus MEUTEREI AUF DER BOUNTY trumpft anfangs mit einigen Exotismen in Form von schweren quintlastigen Blechakkorden und einem grollenden Tamtamschlag auf, bevor das energische Hauptthema vorgetragen wird. Dieses wird allzu schnell in eine allzu süßliche Violinmelodie transformiert und von exotisch anmutenden Holzbläsergirlanden umgarnt, bevor es sich noch einmal zu strotzendem Heroismus aufraffen kann. Franz Grothe war ein Meister seines Fachs und seit 1930 für den Film tätig. Seine Musik zu ILLUSION beginnt mit traumhaft-entrückten Celesta- und Harfenakkorden einiger fragenden Holbzläserphrase, bevor das melancholische Thema erst zaghaft in den Streichern und anschließend einer Oboe über ein zartes Arpeggio der Harfe und mit Klaviertupfern garniert vorgetragen wird, bevor es in ganzer Pracht erblüht. Von ganz anderem Charakter ist die Musik zur zweiten Revueszene des Marika-Röck-Vehikels DIE FRAU MEINER TRÄUME. Röck sollte als Nachfolgerin der emigrierten Marlene Dietrich als singende und tanzende Allzweckwaffe des Propagandaministeriums etabliert werden und durfte 1941 im allerersten abendfüllenden Farbfilm FRAUEN SIND DOCH BESSERE DIPLOMATEN die Hauptrolle spielen. Allerdings war das Agfacolor-Verfahren noch nicht zufrieden stellend ausgereift, sodass erst Veit Harlans GOLDENE STADT von 1942 einen technisch überzeugenden deutschen Farbfilm drehen konnte. Marika Röck erhielt dann eine „zweite“ Chance mit dem prachtvollen Revuefilm DIE FRAU MEINER TRÄUME, zu dem Grothe die Musik komponierte. Der knapp zweiminütige Auszug entspricht mit beschwingt synkopierter Melodie, dezenter Rhythmusgruppe und lässigen Bläsersätzen dem Archetyp vieler Revueszenen- und Komödienvorspannmusiken. Nach dem Krieg blieb Grothe über zwanzig Jahre im Geschäft und vertonte mit ICH DENKE OFT AN PIROSCHKA einen der erfolgreichsten Nachkriegsfilme der BRD. Grothes Musik ist verhältnismäßig üppig in Form einer acht Minuten langen Suite vertreten. Dem schlichten Hauptthema, das die Suite als roter Faden durchzieht, wird eine vergnügte Melodie, der schon fast ein heiterer Marschcharakter attestiert werden kann, gegenübergestellt. Für das erforderliche Lokalkolorit für die in Ungarn angesiedelte Handlung sorgen mehrere Passagen mit „slawischem“ Einschlag, wahlweise als sentimentales Violinsolo oder robustem Volkstanz. VERRAT AN DEUTSCHLAND ist die einzige Filmmusik, die Franz Grothe für Veit Harlan schrieb, der als einziger Regisseur der Menschheitsgeschichte wegen seiner Tätigkeit als Filmschaffender für das nationalsozialistische Regime vor Gericht gestellt wurde. Hauptgrund war der antisemitische Film JUD SÜSS, doch auch viele andere Filme Harlans, der ein äußerst begabter Karrierist war, sind infam propagandistisch. Beide Verfahren scheiterten und Harlan konnte schließlich in Deutschland wieder Filme drehen. Darunter auch VERRAT AN DEUTSCHLAND, der mir persönlich nicht bekannt ist, der sich aber nach allem, was ich darüber weiß, anscheinend in die unendliche Reihe von Rechtfertigungs- und Beschwichtigungsfilmen reiht, die nach dem Krieg in der BRD produziert wurden. Grothes Musik ist mit dem gefälligen „Valse Exotique“ vertreten, in dem vor allem pentatonische Anklänge und das Xylophon fernöstliche Stimmung verbreiten sollen. Der „Valse Exotique“ bietet vor allem wegen der durchsichtigen Instumentierung eine angenehme Abwechslung zu den sonst so süffigen Arrangements auf dieser CD. Zu den Regisseuren, die ebenfalls für ihre Tätigkeit im so genannten „Dritten Reich“ hätten vor Gericht gestellt werden müssen, gehört neben Karl Ritter auch Wolfgang Liebeneiner, der neben zwei politisch gefärbten Bismarck-Biographien mit ICH KLAGE AN einen der perfidesten Propagandafilme der NS-Zeit gedreht hatte. Im Gegensatz zu Harlan kam Liebeneiner völlig unbescholten davon und drehte direkt fast direkt nach dem Krieg weiter. Ihm war 1956 mit DIE TRAPP-FAMILIE, einem vor Optimismus und Arbeitseifer strotzendem Wirtschaftswunderwerbefilm, einer der größten Erfolge des deutschen Nachkriegskinos beschieden. Franz Grothes Ouvertüre zum Film verquickt energische Marschklänge, barocke Sequenzmodelle und aristokratische Hochherrschaftlichkeit mit folkloristischen Einsprengeln und Anklängen an ein Wiegenlied zu äußerst turbulenten zwei Minuten. Nicht selten wurden Filme aus der NS-Zeit in der BRD neu verfilmt, so auch Hans Deppes DER KLEINE GRANZVERKEHR von 1943 nach dem gleichnamigen Buch von Erich Kästner, das Kurt Hoffmann als SALZBURGER GESCHICHTEN 23 Jahre später neu verfilmte. Die schlichte Titelmelodie wird äußerst pompös vom Orchester eröffnet und mit einem größeren Solopart für Klavier fortgeführt. Zu den weiteren nennenswerten Einfällen Grothes gehört neben einer kunstvoll für das Orchesterschlagzeug gesetzten Carillon-Varinate der Melodie von „Reich’ mir die Hand, mein Leben“ aus Mozarts Oper „Don Giovanni“ ein charmanter Walzer. Die Musik wird mit wahlweise für Schmiss oder Schmalz von dem Kölner Rundfunkorchester unter der Leitung von Emmerich Smola, Heinz Geese und Klaus Arp dargeboten und bei aller Kritik an der völlig unreflektierten Präsentation: Capriccio hat hier eine wundervolle Sammlung eingängiger Melodien in hervorragenden Arrangements zusammengestellt. Einem möglichst abwechslungsreichen Hörfluss wurde offensichtlich der Vorzug vor einer chronologischen oder thematischen Anordnung der einzelnen Stücke gegeben. Wenn man sich die 110 Minuten an einem Stück anhört, droht allerdings eine Überzuckerungsgefahr, außerdem muss ich gestehen, dass sich zumindest bei mir nach einer Weile auch vieles gleich anhört und man droht, unter all den säuselnden Streichern und beschwingten Blechbläsern schließlich den Überblick zu verlieren.
  15. So, über's Wochenende bin ich jetzt endlich mal dazu gekommen, mich näher mit dieser Empfehlung zu beschäftigen! Danke, Angus, dass Du Dich hier so aufopferungsvoll um die abwegigen Einträge der internationalen Filmmusik kümmerst und immer wieder Dinge zutage förderst, die ich nie auf den Schirm bekommen hätte. THE FALCON ist wirklich eine interessante Musik, was natürlich an der weiträumigen Einbindung der traditionellen Musik liegt. Als "klassischen" Klangkörper kann Kabiljo auf ein Streichorchester, Schlagwerk und einen gemischten Chor zurückgreifen. Besonders letzterer wird häufig für düstere und schwere, teils auch sakral angehauchte Passagen verwendet, während die Streicher häufig als Füllteppich eingesetzt werden und das Schlagwerk einige Akzente setzt. Das Hauptthema ist tätslich sehr schön geraten und geht einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Den zweiten wichtigen Teil nehmen die folkloristischen, zwischen Osteuropa und Orient pendelnden Abschnitten ein. Hier konnte Kabiljo mit einem speziellen Ensemble einige mystische Passagen schaffen, die besondesr mit ihrem improvisatorischen Charakter und leicht "schwebenden" Klang ungewohnt, aber erfrischend wirken. Ein toller Tip für alle, die einmal abseits der üblichen Wege wandeln wollen und solchen, die die stereotype Verwendung folkloristischer Elemente in den akutellen Hollywoodmusiken über haben. Mich hat diese Empfehlung jedenfalls dazu veranlasst, mich auch weiterhin mit Kabiljos Werk zu beschäftigen, wobei ich auch seine Konzertwerke sehr interessieren. Als nächstes landet dann wahrscheinlich TESLA auf der Liste. Auch hier möge man mir verzeihen, wenn es ähnlich lange dauert, bis ich mich hierzu melde. Aber sei Dir bewusst, Angus, dass Deine Arbeit hier nicht nur zur Kenntnis genommen wird, sondern auch Früchte trägt!
  16. Bei mir ist's auch ewig her, habe den Film aber in guter Erinnerung, besonders den köstlichen Dialog über Christians "Mission" und dem anschließenden Rule, Britannia... FSM hat mit dem 3-CD-Set wirklich eine angemessene Veröffentlichung ermöglicht.
  17. Vielen Dank, lieber Angus, für diese Erläuterung. Habe das Album gar nicht auf dem Schirm gehabt, weil ich mir nichts unter dem Film und der Musik vorstellen konnte. Scheint ja aber wirklich ein schönes Pendant zu DEAD MEN DON'T WEAR PLATES zu sein.
  18. Schöne Liste. Wie kommt denn der Kaper da rein?
  19. Ich habe bisher weder etwas von dem Film noch von der Musik gehört, aber die Hörproben klingen wirklich sehr vielversprechend.
  20. Morgen startet an der Uni Mainz ein dreitätgies Symposium zu Filmmusik und Kontext. Sind Leute aus dem Gebiet vor Ort? Sebastian zum Beispiel? https://www.filmmusik.uni-kiel.de/Symposium2018/Symposium2018.html
  21. Da die Kritzerland immerhin vor vier Jahren erschienen und ratzfatz ausverkauft war, ist es höchste Zeit, dass dieser Meilenstein in Goldsmiths (Western-)Filmographie wieder verfügbar ist. Die Intrada-Neueinspielung ist ja schon seit längerer Zeit "out of stock", sollte aber irgendwann wieder erhältlich sein.
  22. Haben die nicht noch Tiomkins OLD MAN AND THE SEA auf Halde? Eben wegen Studioproblemen?
  23. Habe die Intrada hier auch rumstehen, aber bisher noch nicht gehört. Ist mal durch einen legendären Paket-Kauf der frühen ISCs in meine Sammlung gewandert. (Was war ich froh, endlich Poledouris' SWITCHBACK in den änden zu halten - und später auch hören zu können!). Auf die Lala-Land-CD kann ich wahrscheinlich vorerst verzichten, wird wahrscheinlich eh irgendwann zusammen mit UNLAWFUL ENTRY verramscht.
  24. Definitiv"! Nach all den Wiederaufnahmen, Minimal-Expansionen etc. endlich mal wieder etwas komplett Unveröffentlichtes komplett - und dann auch noch Abenteuer, Western - und Moross
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