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Es arbeitet halt nicht so mit erprobten Horrorklischees, zumindest nicht in dieser Albumkonzeption. Das reine Kamen-Material referriert schon auf musikalische "Haunted House"- und Gothic-Horror-Konventionen, aber in der experimentellen Mischung mit den Orbital-Tracks wird es eben... verstrahlt. Aber gerade das finde ich eben besonders unheimlich, weil es so ein breites Assoziationsspektrum aufmacht. Die klirrenden Orchesterattacken in Verbindung mit den organisch wabernden Elektronik-Anteilen erwecken Bilder von gewalttätig penetrierter Fleischlichkeit, die Ostinati aus Col-Legno-Streichern und Technorhythmus haben beschwörenden, rituellen Charakter, ebenso wie die Vokal-ähnlichen Sounds in den "Containment"-Techno-Passagen, die beinahe wie der Chor einer teufelsanbetenden Sekte klingt, der durch die Graviationswellen des Raumschiffkerns verzerrt wird. Wie gesagt: eine unglaublich assoziative Musik, die einen in ganz fremdartige Klangdimensionen zieht. Ja, die sind natürlich auch toll, wobei die Mischungen da weniger auf Außerweltliches und Surreales abzielen, sondern einfach eher postmodern sind. Ähnlich wie bei den urbanen Goldenthal-Actionscores wie HEAT oder S.W.A.T. - also eher intellektuell-ästhetisches Konzept, und weniger "psychoaktiv" ausgelegt wie bei EVENT HORIZON.
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Horrorscores sind für mich natürlich ein Heimspiel, gerade auch mit meiner musikalischen Vorliebe fürs 20. Jahrhundert. Und obwohl ich in diesem Genre eigentlich dutzende Favoriten habe (von Goldsmiths MEPHISTO WALTZ, über Coriglianos ALTERED STATES und Jerry Fieldings FUNERAL HOME, bishin zu aktuelleren Arbeiten wie Christopher Gordons SALEM'S LOT) ist mein einer Horrorscore immer noch derjenige, mit dem meine Filmmusikleidenschaft Ende der 90er begann - und der auch den Grundstein für meinen etwas sonderbar-abseitigen Musikgeschmack gelegt hat : die Musik zu EVENT HORIZON von Michael Kamen und Orbital. Das in Zusammenarbeit mit dem britischen Musiker-Duo Orbital entstandene Techno/Orchester-Crossover zählt in meinen Ohren zu den unheimlichsten Klangentwürfen, die jemals für einen Hollywood-Horrorfilm erdacht wurden. Eigentlich keine wirkliche Zusammenarbeit, da Kamen und Orbital nicht gemeinsam an der Vertonung gearbeitet haben, sondern jeder mit der Arbeit des anderen "gejamt" hat, aber das schlussendliche Ergebnis (insbesondere auf dem Album) ist fantastisch. Im Film sind Kamens aggressiv-schockhafte sinfonische Elemente und die Techno-Passagen von Orbital meist getrennt voneinander zu hören, das toll konzipierte Soundtrack-Album mischt die Ebenen dann aber, und sorgt damit für wahrlich alptraumhaft-expressive Klangkollisionen. Besonders toll der erste Track "The Forward Decks", und die wilden, teilweise exotisch anmutenden Verdichtungen im dritten Track, "Engineering" (im Video ungefähr von Minute 31 bis 39).
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Sebastian Schwittay antwortete auf Scorechasers Thema in Film & Fernsehen
Ja, genau. Völlig unfassbare Szene, und einer der unfassbarsten Bösewicht-Abgänge der Filmgeschichte. ❤️ -
Der große Olivier-Messiaen-Thread
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Klassische Musik & Orchester
Noch eine kleine Empfehlung hinterher: wem das "Quatour pour la fin du temps" gefällt, für den gibt es mit dem als Hochzeitsgeschenk für seine erste Frau Claire Delbos komponierten "Thème et variations" für Violine und Klavier (1932) noch ein weiteres, im Charakter sehr ähnliches kammermusikalisches Schmuckstück von Messiaen zu entdecken. Das kurze 10-Minuten-Stück besteht aus einem Thema und fünf knappen Variationen - die letzte ist dabei besonders schön und ausdrucksstark, und lässt im Verhältnis von Violinstimme und akkordisch-blockhafter Klavierbegleitung schon die "Louange"-Sätze des Quartetts vorausahnen. Gänsehaut pur, wenn das Klavier ab 1:14 richtig in die Vollen geht, und das eigentlich eher gebrochen-zurückhaltende Thema in einen beeindruckenden Moment des Triumphs steigert. Hier das Thema, die erste und die fünfte Variation aus meiner Lieblingseinspielung: -
Der große Olivier-Messiaen-Thread
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Klassische Musik & Orchester
Kommen wir nun zu einem von Messiaens Hauptwerken, dem auch hier im Thread schon oft erwähnten "Quatour pour la fin du temps", oder zu deutsch "Quartett auf das Ende der Zeit". Das etwas ungewöhnlich besetzte Klavierquartett (Klavier, Violine, Cello und Klarinette) war mein Einstieg ins Schaffen von Messiaen, etwa um 2008, noch während meines Musikwissenschafts-Studiums. Es passte gut in die Zeit: Jonny Greenwoods THERE WILL BE BLOOD hatte mich gerade fest im Griff, und das Messiaen-Quartett, auf das ich in einer Vorlesung aufmerksam wurde, war bekanntermaßen ein zentraler Einfluss auf die Greenwood-Filmmusik - oder zumindest auf die Teile, die er direkt für den Film geschrieben hat. (Der Rest der Filmmusik entstammt, wie sicher auch bekannt sein dürfte, seinem eher Penderecki-nahen Konzertwerk "Popcorn Superhet Receiver".) Wie auch immer: die transzendentale Entrücktheit des "Quatour pour la fin du temps" zog mich sofort in ihren Bann, die ätherischen modalen Harmonien schwebten monatelang in meinem Kopf herum, und vor allem die beiden langsamen Sätze 5 und 8 wurden so etwas wie meine spirituellen Wegbegleiter der nächsten Jahre. Vom Quartett gingen alle meine weiteren Messiaen-Erkundungen aus, von der "Turangalila-Sinfonie" bis ins Spätwerk der 80er und frühen 90er Jahre. Zur Entstehung: Messiaen schrieb das "Quatour pour la fin du temps" 1940 während seiner Nazi-Kriegsgefangenschaft im Stammlager VIII A in Görlitz. Ermöglicht wurde ihm die Komposition durch einen deutschen Offizier, der ihm Notenpapier, Bleistifte und einen eigenen Raum für Proben zur Verfügung stellte. Uraufgeführt wurde das Werk im Januar 1941 in einer Baracke des Lagers, mit Messiaen am Klavier und drei Mitgefangenen an Cello, Violine und Klarinette. Die ungewöhnlichen Umstände der Entstehung dürften zur musikhistorischen Stellung des Werks sicher beigetragen haben - das Quartett gilt als eines der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts - , allerdings erreicht Messiaen auch rein musikalisch einen Gipfelpunkt seines bisherigen Schaffens. In seiner später erschienenen theoretischen Schrift "Technique de mon langage musical" systematisiert er seinen Stil und seine Tonsprache vor allem anhand des Quartetts. Das Quartett besteht aus acht Sätzen, die teilweise nach Szenen aus der Offenbarung des Johannes benannt sind. Interessant dabei ist, dass nur in vier Sätzen alle vier Instrumente erklingen, die restlichen Sätze sind entweder Duos, Trios oder - wie im Falle des dritten Satzes - reine Solo-Abschnitte. 1. "Liturgie de cristal" (Kristallene Liturgie) - Violine, Violoncello, Klavier, Klarinette 2. "Vocalise, pour l’ange qui annonce la fin du temps" (Vokalise für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet) - Violine, Violoncello, Klavier, Klarinette 3. "Abîme des oiseaux" (Abgrund der Vögel) - Klarinette solo 4. "Intermède" (Zwischenspiel) - Violine, Violoncello, Klarinette 5. "Louange à l’éternité de Jésus" (Lobpreis der Ewigkeit Jesu) - Violoncello, Klavier 6. "Danse de la fureur, pour les sept trompettes" (Tanz des Zorns für die sieben Posaunen [der Apokalypse]) - Violine, Violoncello, Klavier, Klarinette 7. "Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’ange qui annonce la fin du temps" (Wirbel der Regenbögen für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet) - Violine, Violoncello, Klavier, Klarinette 8. "Louange à l’immortalité de Jésus" (Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu) - Violine, Klavier Ein Element, das in den ersten Sätzen besonders prominent zur Geltung kommt (besonders in der "Liturgie de cristal" und dem "Abîme des oiseaux") sind die imitierten Vogelgesänge, die auch in Messiaens Gesamtschaffen immer wieder eine wichtige Rolle einnehmen. Im ersten Satz sind es die Violine und die Klarinette, die über relativ statischen Bewegungen des Klaviers und Cellos zwitschernde Motivfetzen einwerfen. Im dritten Satz, dem reduziertesten und kargsten Teil des Quartetts, ist es dann die Solo-Klarinette, die den einsamen "Abgrund der Vögel" poetisch ausformuliert. Nur im Mittelteil ist der Vogelgesang etwas belebter, Anfang- und Endteil sind laut Satzbezeichnung "langsam, expressiv und traurig". (Ich verlinke jetzt nicht jeden Satz als YouTube-Video, bei Interesse könnt ihr euch ja leicht alle Sätze zusammenklicken, oder euch das Werk gleich ganz anhören - siehe das Live-Video weiter unten). Im zweiten Satz "Vocalise, pour l’ange qui annonce la fin du temps" gibt es nach einer kurzen, heftigen Einleitung erstmals eine der langgezogenen Kantilenen zu hören, die für das Werk so charakteristisch sind. Über regelmäßig tröpfelnden Akkordketten des Klaviers entspinnt sich ein langer Gesang von Violine und Cello, beide unisono spielend (im Video ab 0:52). Diese entrückte, fast 4-minütige Passage ist schon ein kleiner Vorausblick auf die beiden langsamen "Louange"-Gesänge in den Sätzen 5 und 8. Der vierte Satz, die kurze "Intermède", dürfte der zugänglichste und unterhaltsamste Satz des Quartetts sein. Der Charakter ist temperamentvoll, verspielt und insgesamt wenig dissonant. Das Klavier fehlt hier, es spielen Violine, Cello und Klarinette, teils unisono, teils raffiniert kontrapunktisch verwoben. Ein wenig volkstümlich mutet die Harmonik des Satzes an, durch die verwendete Tonleiter, die dem Zigeunermoll ähnelt. (Das Stück war übrigens das erste, das Messiaen im Gefangenenlager komponierte, zunächst noch als Einzelstück konzipiert. Erst danach erweiterte er das Werk um die restlichen sieben Sätze.) Es folgt der wahrscheinlich schon allseits bekannte fünfte Satz, die "Louange à l’éternité de Jésus". Messiaen hat den Satz aus seiner (hier im Thread bereits vorgestellten) Ondes-Martenot-Komposition "Fête des belles eaux" übernommen, die er drei Jahre früher noch in Paris geschrieben hatte. Das Cello holt hier zu einem herzergreifend intensiven Gesang aus, der die Ewigkeit christlicher Gnade und Gotteserfahrung im Menschen symbolisiert. Das Klavier begleitet das Cello mit blockhaften Akkordfolgen, die die Kantilene des Cellos förmlich in die Ewigkeit tragen. Eine der schönsten Kompositionen von Messiaen überhaupt, und auch eine der schönsten des 20. Jahrhunderts. Hier mal eine Live-Version, weil es mit der sichtbaren Performance der Musiker doch noch intensiver wirkt (die ansonsten verlinkte DG-Einspielung mit dem grünen Cover ist natürlich auch spitze): Direkt darauf folgt ein ausgesprochen wilder und stürmischer Satz, der "Danse de la fureur, pour les sept trompettes", der insofern ungewöhnlich ist, als dass alle vier Instrumente den kompletten Satz (!) unisono - d.h. einstimmig - spielen. Hier wird die apokalyptische Thematik, die sich in der Bezeichnung einiger Sätze spiegelt, am deutlichsten. Die vier Instrumente verschmelzen quasi zu einem einzelnen, Trompeten-haften Klang, der die Posaunen der Apokalypse assoziieren soll. Der Satz ist vielleicht der formal strikteste Abschnitt der Partitur - sowohl rhythmisch (mit den typischen augmentierten Rhythmen, die Messiaen oft benutzt, d.h. Notenwerte werden durch einen nächstkleineren verlängert - am Ende passen nicht mehr 16 Sechzehntel in einen Takt, sondern eben 17 oder sogar mehr) als auch harmonisch, denn durch die Einstimmigkeit aller vier Instrumente wird der Fokus noch stärker auf die zugrunde liegenden Tonleitern gerichtet, die Messiaen dem Hörer regelrecht einhämmert. (Meine Oma habe ich mit dem Satz immer in den Wahnsinn getrieben, wenn ich das Stück bei ihr gehört habe. Ich finde, das Hauptmotiv ist ein absoluter Ohrwurm - keine Ahnung, was sie hatte. ) Im siebten Satz "Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’ange qui annonce la fin du temps" wird Messiaen mit den titelgebenden Regenbogen-Wirbeln ("fouillis d'arc-en-ciel") wohl auf die synästhetischen Farbwahrnehmungen anspielen, die er unter dem Einfluss von Nahrungsmagel im Gefangenenlager erlebt hat. Darüber hinaus für Filmmusik-Freunde interessant: der Satz stand stilistisch Pate für die im Hintergrund laufende "Source Music" in Daniel Plainviews Anwesen am Ende von THERE WILL BE BLOOD. Das Stück wurde auch von Greenwood komponiert, heißt auf dem Album "Eat Him By His Own Light", und vertont sehr hintergründig den Alterswahnsinn des Protagonisten in der schummrigen Parallelwelt seines Refugiums - relativ passend, da ja auch der Messiaen-Satz in gewisser Weise Wahnvorstellungen thematisiert. Greenwood wählt eine bis auf die Klarinette identische Besetzung (Klavier, Violine, Cello), und gestaltet auch den Klavierpart mit seinen parallel verschobenen Akkorden sehr ähnlich wie Messiaen. Hier erst der siebte Satz des Quartetts, und danach der Track von Greenwood: Der letzte und zugleich zweite "Louange"-Satz des Quartetts "Louange à l’immortalité de Jésus" schließt konzeptionell eng an den fünften Satz an: auch hier steht eine lange Kantilene (diesmal der Violine) im Vordergrund, die akkordisch vom Klavier begleitet wird. Und auch hier gibt es wieder Elemente, die sich Jonny Greenwood in seiner Musik zu THERE WILL BE BLOOD zum Vorbild genommen hat, vor allem den ausdrucksstarken Sprung in der Melodielinie der Violine (bei 1:56), der im Thema von Plainviews Sohn H.W. zu einem regelrechten Strukturmerkmal wird (zu hören im Track "H.W. / Hope of New Fields", vor allem im Mittelteil des Tracks). Am Ende schraubt sich die Violine immer weiter in die Höhe, und auch die Akkorde des Klaviers wandern in die höchsten Lagen - und verebben am Ende in einem gläsernen, jenseitigen pianissimo-Klang. Der Titel des Quartetts lässt sich - mit Blick auf die beiden "Louange"-Sätze - am Ende auch ganz abseits der apokalyptischen Thematik interpretieren, nämlich mit einer Abkehr von traditionellem Zeitverständnis im musikalischen Sinne. Gerade die Sätze 5 und 8 mit ihren extrem langsamen Tempi, die den Parameter Rhythmus fast komplett überwinden, setzen eine Vorstellung von Überzeitlichkeit um, von Kontemplation und Ewigkeit im mystischen Sinne, wie sie in der europäischen Kunstmusik selten ist. Wie Messiaen selbst sagte: "... [es ist] etwas Orientalisches in meiner Musik … das gibt es nicht in Europa … einen Europäer bringt das aus der Fassung…" Damit beschließe ich meine kleine Werkeinführung, und überlasse der Musik das letzte Wort - dem letzten Satz des Quartetts: -
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Sebastian Schwittay antwortete auf Scorechasers Thema in Film & Fernsehen
BETWEEN HEAVEN AND HELL (Richard Fleischer, USA 1956) Das Moralstück über die Läuterung eines rassistischen Großgrundbesitzers während des Pazifikkriegs gehört nicht zu Richard Fleischers stärksten Filmen (insbesondere nicht im Vergleich zum großartigen, ein Jahr zuvor entstandenen VIOLENT SATURDAY, der seine narrativen Nebenschauplätze - Familie, Generationenkonflikt, Religion - noch viel kunstvoller mit der Genre-Haupthandlung verwebt), aber die tolle CinemaScope-Fotografie und eine der kernigsten Dies-Irae-Verarbeitungen der Hollywood-Filmmusik der 50er/60er Jahre (oscarnominiert: Hugo Friedhofer) reißen es dann doch heraus und verankern den Film nachhaltiger im Gedächtnis. HOLLOW MAN (Paul Verhoeven, USA 2000) Ich habe HOLLOW MAN lange unterschätzt. Ein Wiedersehen nach acht Jahren hat ihn nun allerdings ins Spitzenfeld meiner Verhoeven-Favoritenliste katapultiert. Neben SHOWGIRLS ist das vielleicht Verhoevens physischster, gewaltigster und gewalttätigster Hollywoodfilm: seine Sci-Fi-Satiren empfinde ich in ihrer extremen Stilisierung zwar nicht minder brutal, aber doch ein gutes Stück distanzierter zu einer alltäglich-körperlichen Realitätserfahrung, wie sie HOLLOW MAN vor allem auch durch die sexuelle Thematik berührt. In diesem Kontext ist der Film vielleicht Verhoevens „bewussteste“ Hollywoodarbeit, oder zumindest diejenige, die den ‚sexual predatorism‘ des Verhoeven’schen Übermenschen am deutlichsten pathologisiert. Ein Film, scharf wie eine Klinge, und in manchen Aspekten ähnlich einschneidend-schmerzhaft wie ELLE, mit dem er ein ausgezeichnetes Double Feature abgeben würde. (Nicht unerwähnt bleiben soll natürlich die letzte modernistische Musik des großen Jerry Goldsmith, der Verhoevens Hollywood-Abschiedsvorstellung mit einem expressionistischen, Blechbläsercluster-reichen Ausdruckstanz penetriert, wie man ihn bei Goldsmith klangästhetisch eher in unbequemen 70er-Thrillern wie THE CASSANDRA CROSSING oder COMA vermuten würde.) -
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Sebastian Schwittay antwortete auf Scorechasers Thema in Film & Fernsehen
Klingt auch für mich eher nach Filmrissen. Zumal es ja die deutsche Kinofassung ist, da wurde bestimmt irgendeine runtergespielte deutsche Positivkopie abgetastet, da sind Fehlstellen keine Seltenheit. Boisset ist immer was Feines! Unter seinen kleineren Politkrimis mag ich LE SAUT DE L'ANGE (deutsch "Kommando Cobra") am liebsten. Gibt es allerdings leider nur auf VHS. -
Elliot Goldenthal
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Komponisten Diskussion
Die Klangqualität dieser neuen Live-Einspielung ist leider gerade in den bewegten Passagen nicht besonders - auch wenn die Zusammenstellung der Suite ganz in Ordnung ist. Die Orchestrationen der modernistisch-agitierten Passagen wirken bei Goldenthal in stark gemixtem Studio-Sound eben meist viel besser als live (siehe auch die Live-Aufführung seiner "Symphony in G sharp minor"). Ich bleibe wohl bei der Filmeinspielung. -
Wow, vielen Dank für die Info. Ist dann hoffentlich auch im Booklet vermerkt. Gibt es bei der Goldsmith Odyssey auch schon irgendwo den Hinweis, dass das später in TAKE HER, SHE'S MINE wiederverwendet wurde? Ich kenne leider bis auf TWILIGHT ZONE und THRILLER viele der frühen Serienepisoden-Scores von Goldsmith auch noch gar nicht, muss mir das bei Gelegenheit alles mal zusammensuchen...
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Wenn man nach den Kinostarts der insgesamt sechs von Goldsmith vertonten Kinoproduktionen 1963 geht, wäre TAKE HER, SHE'S MINE sein fünfter Kinofilm dieses Jahrgangs und sein zwölfter insgesamt. "Eine seiner ersten Arbeiten" ist der Score also nicht. Viel mehr war er '63 schon recht etabliert, hatte seine erste Oscarnominierung in der Tasche, und startete in dem Jahr seinen Vertrag bei Fox. Hat auch ein bisschen den Kurt-Weill-Touch à la STUDS LONIGAN...
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Der große Olivier-Messiaen-Thread
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Klassische Musik & Orchester
Geschmack hat er, der Mann. Überhaupt scheint mir Messiaen ein echter "composer's composer" zu sein. Unter Musikern wird er enorm geschätzt und verehrt (selbst in der Popmusik), während sich das "normale" Publikum eher schwer tut. Liegt aber vielleicht auch daran, dass Messiaen im traditionellen Konzertbetrieb eher mit den sperrigeren Werken der 50er und 60er Jahre vertreten ist - mit Ausnahme des "Quatour pour la fin du temps" werden die zugänglicheren Sachen aus den 30er und frühen 40er Jahren (wie "L'Ascension" und die anderen frühen Orchesterwerke) eher seltener gespielt. Eigentlich seltsam. Weiter geht es mit zwei weiteren frühen Kompositionen aus den 30ern, die wegen ihrer Kürze zumindest in Kammerkonzerten oder auf CD-Samplern häufiger anzutreffen sind: Die kurze Motette "O sacrum convivium" für vierstimmigen gemischten Chor von 1937 ist eins der ganz wenigen rein kirchenmusikalischen Werke von Messiaen - also ein Werk, das auch im liturgischen Kontext verwendet werden kann. Messiaen vertont dabei einen 6-versigen Text über die Eucharistie. Einen musikalischen Höhepunkt erreicht die Vertonung bereits auf der vierten Textzeile "mens impletur gratia" ("der Geist wird erfüllt mit Gnade"), im Video bei 1:04. Die oktatonisch geshifteten Akkorde und der prägnante Tritonus-Sprung in der Oberstimme sind schon unglaublich ausdrucksstark, fast schon zu ausdrucksstark für Kirchenmusik. Wunderschön auch das freie Entschweben der Oberstimmen auf dem „Alleluja“ gegen Ende, ab 3:15... Wenn mich irgendetwas für Religiösität vereinnahmen kann, dann solche Musik. O sacrum convivium, in quo Christus sumitur: recolitur memoria passionis eius, mens impletur gratia et futurae gloriae nobis pignus datur. Alleluia. Wie modern Messiaens Harmonik ist, und wieviel sich by the way auch Bands wie Radiohead und Musiker wie Jonny Greenwood von ihm abgeschnitten haben, wird deutlich, wenn man sich das Stück als Transkription für Gitarre anhört: Und noch ein kurzes Vokalwerk, das vielleicht zu den populärsten Stücken von Messiaen überhaupt zählt: die "Vocalise-Étude" für Klavier und Sopranstimme von 1935. Auf YouTube gibt es hunderte professionelle und semi-professionelle Videos, Spotify findet über ein Dutzend hervorragender Aufnahmen, darunter auch Arrangements für Klavier und Oboe, Klavier und Klarinette, Klavier und Saxophon, oder gar Trompete und Orgel. ❤️ Das kurze Stück komponierte Messiaen 1935 für eine vom Pariser Gesangslehrer Amédée-Landély Hettich initierte Etüdensammlung, für die auch prominente Komponisten wie Maurice Ravel oder Heitor Villa-Lobos geschrieben haben. Die zart-impressionistische Komposition atmet noch viel vom Geist Debussys, aber es gibt natürlich auch hier die modalharmonischen Außerweltlich- und Unfassbarkeiten, wie sie der Messiaenist kennt und liebt. 1991 arrangierte Messiaen das Stück übrigens als zweiten Satz seines letzten Orchesterwerks, dem "Concert à quatre". Und hier die absolut außerirdische Version für Trompete und Orgel: -
Es gibt noch einige Goldsmiths, die noch nie das Tageslicht einer CD-Veröffentlichung erblickt haben. Allen voran THE DON IS DEAD (1973), seine ersten Spielfilmmusiken BLACK PATCH (1957) und FACE OF A FUGITIVE (1959), sowie THE MAN (1972) und eine ganze Reihe kürzerer TV-Musiken aus der erste Hälfte der Siebziger. Gibt also noch genug, auf das man sich freuen kann.
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Sebastian Schwittay antwortete auf Scorechasers Thema in Film & Fernsehen
Jetzt haben wir dich auch an den Disney-Marvel-Schlund verloren, Oliver... -
Der große Olivier-Messiaen-Thread
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Klassische Musik & Orchester
Ein bisschen für "andere Medien" komponierte Messiaen eigentlich doch (und zwar durchaus auch "Gebrauchsmusik"): 1937 schrieb er die Begleitmusik für eine Springbrunnen-Show auf der Pariser Weltfachausstellung. Die Komposition, "Fête des belles eaux", widmet sich einem ungewöhnlichen Instrument, das auch Filmmusik-Freunden bekannt sein dürfte - vor allem durch die Scores von Elmer Bernstein: dem elektronischen Ondes Martenot. Die Besetzung des 8-sätzigen Stücks verlangt gleich 6 (!) davon. Oft spielen die Ondes Martenots im Quartett oder Quintett (z.B. in den bewegten Sätzen, siehe z.B. den tollen dritten Satz (ab 6:06)) - diese werden aber immer wieder durchbrochen von längeren Solo-Abschnitten für ein einzelnes Ondes. Den vierten Satz, in dem eine lange Solo-Melodielinie akkordisch von drei Stimmen begleitet wird, hat Messiaen drei Jahre später zum fünften - und wohl bekanntesten - Satz seines "Quatour pour la fin du temps" arrangiert. Wusste ich bis vor kurzem auch noch nicht. Im Video ab 8:11! (Die Ondes-Martenot-Fassung wird übrigens in THE REVENANT verwendet, in der Szene, in der Leonardo DiCaprio im ausgeweideten Pferde-Kadaver schläft. Eins der wenigen Beispiele für einen Hollywood-Film, in dem Messiaen zu hören ist. - Als ich den Film 2016 im Kino gesehen habe, ist mir die Melodie natürlich aufgefallen, aber ich dachte, es wäre irgendein modernes Arrangement. Weit gefehlt!) -
Der große Olivier-Messiaen-Thread
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Klassische Musik & Orchester
Super, danke. -
Elliot Goldenthal
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Komponisten Diskussion
https://open.spotify.com/album/3Pzh6FiiBEgo4kQDKdKE5A?si=wnrBnQ3QQ0CD-O1D5dYFqw -
Mich hat es jedenfalls nie gestört, im Gegenteil. Die Musette-Klänge wirken ein bisschen entrückt und verstrahlt, andererseits öffnet Goldsmiths ungenauer Zugang auch den Blick für die Verbindungen und fließenden Übergänge im Volksmusikalischen - letzten Endes prägt das Akkordeon ja genauso den gesamteuropäischen Volksmusikraum wie die Zither. Und dass es ein Musette-Walzer ist, mein Gott... es wirkt in der Picknick-Szene einfach gut, als Ausdruck des Menschlichen und Familiären. Goldsmiths Zugang war hochgradig intuitiv und assoziativ, und in vielem war er eben auch ein Naivling. Genauso das Zither-Thema aus MORITURI: hier kann ich noch weniger nachvollziehen, dass es nicht passen soll - das Thema atmet das "alte Europa", ist wahnsinnig schwermütig, und fühlt sich wie ein Stück Alltagskultur der 30er an, das aus einem blechernen Radio in den tristen Nazi-Alltag weht (die von dir erwähnte Szene mit dem Radio finde ich musikalisch deshalb besonders stimmig). Was ein Künstler selbst zu seinen Werken sagt, sollte never never never zum Maßstab für eigene (oder gar historisch-wissenschaftliche) Einordnungen genommen werden. Das gilt in besonderem Maße für komplexbeladene, alkohol-, depressions- und charakterbedingt unzuverlässige Eigenperspektiven wie die von Goldsmith. Der Mann hat in seinen späteren Lebensjahren viele Musiken als seine persönlich liebsten und besten auserkoren, die ihm halt besonderen Spaß gemacht haben - RUDY beispielsweise, der sicher nett, aber keinesfalls ein essentieller künstlerischer Brennpunkt seines Schaffens ist. Folglich wäre ich mit solchen Künstlerzitaten immens vorsichtig. Und klar, der Vergleich mit anderen Highlights im Gesamtwerk (du beziehst dich wohl auf die 60er, 70er und frühen 80er) fördert natürlich vor allem eins zu Tage: eine zunächst mal wertfreie stilistische Differenz. Du kannst schwer THE BLUE MAX gegen U.S. MARSHALS setzen und einen qualitativen Vergleich anstellen, wenn beide Schaffensphasen von so vollkommen unterschiedlichen ästhetischen Dispositionen ausgehen. Ein Vergleich bietet sich dagegen mit anderen 90er-Jahre-Musiken an - und die Frage, inwiefern MARSHALS einem, sagen wir, THE GHOST AND THE DARKNESS kompositorisch unterlegen ist, steht nach wie vor im Raum.
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Naja, zum einen hat Goldsmith mit dem Hauptthema einen seiner schönsten und eigenwilligsten mediävalen Choräle komponiert, dessen Formstrenge und Ausharmonisierung tatsächlich kaum nach Goldsmith klingen und im eigenen Schaffen ohne direktes Vorbild bleiben. Es ist ja weder entrückt noch episch, wie sonst üblich bei Goldsmith, wenn es ins Sakrale geht, sondern vollkommen profan und unwirtlich. Irgendwas in seinen frühen THRILLER-Musiken hat mich mal leicht an das Thema erinnert, aber zumindest seit 1963 fallen mir keine direkten musikalischen Verwandten mehr ein. Zum anderen finde ich auch, dass das Finale einige wirklich starke Steigerungen aufzuweisen hat, die wiederum doch eher ins Epische tendieren, aber mit der ungewöhnlichen Harmonisierung des Themas auch ganz anders klingen als (grob) stilistisch Vergleichbares wie THE FINAL CONFLICT. Und, naja, den Synthesizer-Einsatz fand ich schon immer erfrischend andersartig irgendwie... In Gänze eine wirklich idiosynkratische, unterschätzte Musik, wie ich finde. Goldsmith hat die Strangeness des Films in einem ziemlich unverwechselbaren Konzept eingefangen - eine Fähigkeit, die ihm ja sonst nur bis maximal Mitte der 80er zugesprochen wird. Das Siegel "lieblos zusammengekloppt" bleibt für mich erstmal Behauptung ohne Argument. Eine Begründung, wieso das aus deiner Sicht so ist (wie ich es getan habe am Beispiel von U.S. MARSHALS und jetzt WARLOCK), fände ich hilfreich. Naja, beliebt ist er jedenfalls nicht. Sonst wäre er zumindest auch mal auf YouTube gelandet, was bis heute nicht der Fall ist. Und auch sonst reagieren gerade die Leute in internationalen Fangruppen immer etwas irritiert, wenn man MORITURI als einen Top-Favoriten nennt - ich spreche aus Erfahrung... Was die Zither betrifft: die ist musikethnologisch gar nicht mal so spezifisch mit Osteuropa verknüpft, sondern eher allgemein mit Europa (wobei es auch in Asien viele Vertreter dieser Instrumentenfamilie gibt). Und zumindest die gesamt- bzw. mitteleuropäische Konnotation macht schon Sinn, sind viele der Protagonisten doch Europäer oder versuchen, sich als solche auszugeben. Dass Goldsmith es nie so genau nahm mit exakten geographischen Zuschreibungen, ist ja nicht neu...
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Milan Records: MIDSOMMAR (Bobby Krlic)
Sebastian Schwittay antwortete auf Sebastian Schwittays Thema in Scores & Veröffentlichungen
Ich mag ja vor allem den ersten Drogentrip auf dem Wiesenhügel, noch bevor die jungen Leute in der Kommune ankommen. Nicht nur extrem unheimlich inszeniert, sondern auch spannend hinsichtlich des Hauptthemas des Films: toxische Beziehungen, und die ständigen Manipulationen, denen sich die Protagonistin ausgesetzt sieht. Sie will ja nichts rauchen, wird dann aber doch hineingedrängt. Erst die Kommune erlaubt ihr - in gewisser Weise - Souveränität. Die Kommune als Befreiungsschlag: eine durchaus subversive Message.