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Soundtrack Board

Michael Kamen und die "andere" Musik


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Die Board-Suche hat mir gesagt, dass es noch keinen Thread zu Michael Kamen selbst gibt. Von daher wollte ich das mal ändern. Allerdings möchte ich nicht mit seiner Filmmusik anfangen, sondern damit, dass Kamen auch viel mit Rockmusikern zusammengearbeitet hat. Die wohl verzweigteste Zusammenarbeit war die mit Pink Floyd, die sogar seine spätere Score-Karriere beeinflussen sollte. Aber dazu später mehr.

1979 erschien mit THE WALL das wohl bekannteste Floyd-Album, neben THE DARK SIDE OF THE MOON. Es ist bis heute das am meisten verkaufte Doppel-Album aller Zeiten (über 30 Millionen Exemplare). Wie die Alben davor ist auch THE WALL ein Konzeptalbum, welches in diesem Fall starke autobiographische Züge des damaligen Bassisten und Masterminds Roger Waters hat. Die Idee zu THE WALL entstand bereits 1977. Die in diesem Jahr stattfindende ANIMALS-Tour brachte die Floyd zum ersten Mal in ihrer Karriere auch in große Fußballstadien. Besonders Roger Waters kam mit diesen Konzerten nicht gut zurecht. Er empfand es als Entfernung vom Publikum und den Verlust der Kommunikation zwischen der Band und dem Publikum. Das ging so weit, dass er das Publikum nur noch als großes, lärmendes Monster wahrnahm, welches hauptsächlich wegen des Biers gekommen war.

Beim Konzert in Montreal, Kanada kam es dann zu dem legendären Vorfall. Ein Fan war Roger in der ersten Reihe schon länger aufgefallen. Dieser Fan brüllte und johlte offensichtlich stark betrunken bereits während des ganzen Konzerts und versuchte immer wieder, die Bühne hochzuklettern. Irgendwann ging Roger zu ihm hin und spuckte ihm ins Gesicht. Hinterher war Roger von sich selbst erschrocken und ersann die Idee, eine Mauer auf der Bühne zu bauen, die das Publikum von der Band abschottet.

Das alleine war natürlich noch etwas wenig für ein Konzept und so dachte sich Roger die Geschichte des Musikers Pink aus, die natürlich stark von seiner eigenen geprägt war. Pink hat, wie Roger, seinen Vater nie kennengelernt, da dieser 1944 im Zweiten Weltkrieg in Italien gefallen ist. Roger war zu dem Zeitpunkt wenige Monate alt. Der Tod des Vaters ist der erste Stein in der imaginären Mauer, die Pink um sich herum aufbaut. Bedingt durch den Tod des Vaters wächst Pink streng behütet von seiner Mutter auf, die den Verlust ihres Mannes dadurch kompensieren will, dass sie mit allen Mitteln verhindern will, dass ihrem Sohn etwas passieren könnte. Das führt bei Pink auch zu einem gestörten Verhältnis zu Frauen, woran später dann auch seine Ehe scheitert. Die strenge Schulzeit im England der frühen 50er Jahre, in der die Lehrer eher darauf bedacht waren, die Schüler so zu formen, dass sie es mit guten Noten an höhere Schulen schafften, statt ihre individuellen Stärken zu fördern, ist ein weiterer Stein in der Mauer. Der Verlust der Individualität zieht sich als Thema durch viele von Rogers Arbeiten.

Als Rockstar ist Pink dann später schon so hinter seiner Mauer gefangen, dass Gefühle nicht mehr zu ihm durchdringen. Er nimmt Groupies mit auf sein Hotelzimmer, in welchem er nur stumm sitzt und alte Kriegsfilme im Fernsehen verfolgt, verwüstet diese daraufhin und wird von all den seelischen Schmerzen geplagt (Tod des Vaters, die überfürsorgliche Mutter, die Ehefrau, die eine Affäre mit einem anderen angefangen hat). Das ist schließlich zu viel für ihn, die Mauer ist komplett und damit beginnt die langsame, innerliche "Verwesung" Pinks, was in den Songs immer wieder durch die Würmer angedeutet wird. In seiner Isolation hinter seiner Mauer beginnt er, alles und jeden für sein Leiden verantwortlich zu machen. Als er dann vollkommen zugedröhnt von seinem Manager und seiner Crew aus seinem Hotelzimmer zum Auftritt geschleift wird, fantasiert er sich als wortwörtlichen Führer einer Horde zu alles bereiter Fans herauf. Die schwarzen Uniformen mit den roten Armbändern erinnern nicht umsonst an faschistoide Symbole. Nur, dass hier kein Hakenkreuz auf den Armbändern ist, sondern zwei gekreuzte Hammer, das Zeichen der Faschisten in THE WALL. Man sieht seine Anhänger, die Skinheads, wie sie randalierend und mordend durch die Straßen Englands ziehen. Abgestoßen davon, was er selbst herauf beschworen hat, findet in seinem Kopf eine imaginäre Gerichtsverhandlung statt, in der der Lehrer, die Mutter und die Ehefrau gegen ihn aussagen. Der Richter verhängt das Urteil, die Mauer einzureißen und am Ende steht Pink emotional nackt vor allen da.

Roger Waters konzipierte THE WALL von Anfang an als Album, Show und Film. Für das Album nahm man dann eben auch Michael Kamen zu Hilfe, der die Orchesterparts für die Songs arrangierte und dirigierte. Zwei, die ich davon besonders herausheben möchte, sind "Comfortably Numb" und "The Trial". Ersteres spielt sich in der Szene ab, in der Pink völlig zugedröhnt in seinem Hotelzimmer sitzt und Bilder seiner Kindheit vor sich sieht, bevor er von seiner Crew zum Konzert geschleift wird. Roger singt dabei den Part des Arztes, der Pink fit spritzt, denn die Show muss ja weitergehen und Gitarrist David Gilmour, von dem die Melodie des Songs stammt, antwortet singend als Pink. Kamen arrangierte wundervolle Streicherparts für den Song. Gilmours Gitarrensolo orientiert sich beim ersten Mal an der Refrain-Melodie, ist fast schon zärtlich und melancholisch, während sein zweites Solo sich an den Verszeilen orientiert und da bereits die Wut Pinks in sich trägt, der sich eben gerade zum faschistoiden Führer verwandelt.

"The Trial" ist dann eben das Finale des Albums, die Gerichtsverhandlung, in der Kamen mit seinem Orchester den größten Auftritt hat. Das Stück erinnert auch eher an etwas aus einem Musical.

 

Der Film, inszeniert von Alan Parker, erschien 1982 und hatte zwei Songs parat, die nicht auf dem Album erschienen waren. Manche der anderen Songs, wie "Mother", wurden für den Film neu arrangiert und aufgenommen. Deshalb entstand die Idee, ein Soundtrack-Album zum Film zu veröffentlichen. Der Arbeitstitel war "Spare Bricks", aber es kam dann doch alles anders. Anfang der 80er Jahre entbrannte der Falkland-Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien. Das machte Roger sehr wütend, da er dadurch den Nachkriegstraum seines Vaters und all derer, die im Krieg gekämpft und sogar ihr Leben verloren hatten, verraten sah. Die Generation seines Vaters sah eine bessere Zukunft für die Generationen danach und nun führte man Krieg um ein paar Felsen, auf denen es mehr Schafe als Menschen gab. Das inspirierte Roger dazu, die übrig gebliebenen Songs von THE WALL mit teils neuen Texten zu versehen und neue Songs dazu zu schreiben. Das Ergebnis war das Album THE FINAL CUT, welches 1983 erschien. Es ist eigentlich auch ein Waters-Soloalbum, da die Risse zwischen den Bandmitgliedern während THE WALL so groß geworden waren, dass Roger nicht nur Keyboarder Richard Wright aus der Band drängte, sondern auch David Gilmour verwehrte, als Produzent bei THE FINAL CUT aufzutreten. Dafür sprang Michael Kamen als Co-Produzent ein, der dann auch auf dem Album Piano spielte. Das Album trägt dann auch den Untertitel "A Requiem for the post-war dream by Roger Waters, performed by Pink Floyd".

Einer der Songs aus dem Film THE WALL, der eigentlich für THE FINAL CUT dann bestimmt war, erschien damals nur als Single und wurde erst vor ein paar Jahren bei den Neuauflagen des Albums zum Teil des Ganzen. In "When the Tigers broke free" singt Roger davon, wie sein Vater im Krieg umgekommen ist. Mit den Tigern sind hier die Tiger-Panzer der Deutschen gemeint, die den ganzen Zug, in dem sein Vater gedient hat, ausgelöscht haben. Auch dieser Song wird von Kamens Arrangement musikalisch getragen.

Insgesamt ist THE FINAL CUT fast schon ein Hörspiel. David Gilmour und Schlagzeuger Nick Mason kommen nur sporadisch zum Einsatz, meist hört man Roger, der seine Texte über Kamens Orchester spricht und singt. Ein Highlight ist daher der Titelsong, dem man die Nähe zu THE WALL textlich anhört. Es geht in dem Song im Grunde darum, dass es nicht immer das Beste ist, die ganze Wahrheit zu sagen. Roger singt in dem Song eigentlich von sich selbst, einem Mann, der Angst hat, seine tiefsten Gefühle zu offenbaren, weil er die Konsequenzen fürchtet. Der letzte Schnitt bezieht sich darauf, dass diese Person, also Roger, quasi schon das Messer in der Hand hatte, um den letzten Schnitt auszuführen, also den Vorhang herunter zu reißen und sein Innerstes zu offenbaren, aber dann hat er sich doch nicht getraut. Der Titel ist inspiriert von Shakespeares JULIUS CÄSAR, der sagt, nachdem sein Sohn Brutus ihn niedergestochen hat, dass dieser letzte Stich der schlimmste von allen war. Der Song ist so ein wenig der kleine Bruder von "Comfortably Numb", besonders wegen Kamens toller Arrangements, die hier allerdings noch besser zur Geltung kommen. Und David Gilmour darf hier ein sehr wehmütiges und klagendes Solo spielen.

Ein Kritiker nannte das Album einst "Das radikalste Anti-Kriegsalbum seit Bob Dylans MASTERS OF WAR". Die Songs sind thematisch tatsächlich keine leichte Kost. Wie auch "The Gunner's Dream", in dem es um den Schützen eines Bombers geht, dessen Flugzeug abgeschossen wurde und er sich mit dem Fallschirm gerettet hat. Doch in der Luft bemerkt er, dass sein Fallschirm sich nicht öffnet und er stürzt seinem Tod entgegen. In dieser Zeit bis zum Aufprall denkt er an seine Familie daheim, wie es ihnen wohl mit seinem Tod gehen wird und er denkt daran, dass sein Tod hoffentlich nicht umsonst war und die Welt nach dem Krieg zu einem besseren Ort werden wird.

Nach THE FINAL CUT trennten sich die Wege von Roger und den anderen Floyd, die Richard Wright in die Band zurückholten und ohne Roger als Pink Floyd weiter machten. 1984 veröffentlichte Roger daher sein Soloalbum THE PROS AND CONS OF HITCHHIKING, dessen Konzept er ebenfalls 1978, zusammen mit THE WALL, entwickelte. Thematisch war das Album aber wesentlich leichter. Die Songs haben alle Uhrzeiten, da sie den Traum eines Mannes darstellen, der aus seinem Familienleben ausbrechen will. In seinem Traum fährt er alleine durch die Landschaft und gabelt eine junge Anhalterin am Straßenrand auf, die seine sexuelle Phantasie anregt. Es tauchen dann auch noch Araber mit Säbeln und viele weitere kuriose Dinge auf. Auch an diesem Album war Kamen wieder als Co-Produzent, sowie Arrangeur und Pianist beteiligt und er begleitete Roger sogar auf der dazugehörigen Tournee. Das Album ist deshalb für Kamen so besonders, da hier ebenfalls Eric Clapton zu hören ist, der sozusagen die Rolle David Gilmours übernehmen musste, sowie auch David Sanborn am Saxophon. Mit Clapton und Sanborn arbeitete Kamen dann ein paar Jahre später an den LETHAL WEAPON Scores, aber die Geburtsstunde dieses Sounds ist auf diesem Album zu hören.

Besonders gut kann man das im Track "4.39 AM (For The First Time Today, Part 2)" hören. Gegen Ende spielen sowohl Clapton, als auch Sanborn ihre Fills über Kames Orchester, wie es später bei LETHAL WEAPON typisch werden sollte.

Bester Song auf dem Album ist allerdings dieser hier:

Ebenfalls 1984 veröffentlichte David Gilmour ein Soloalbum, ABOUT FACE. Bei dem Instrumentalstück "Let's get metaphysical" ist ebenfalls Kamen mit seinem Orchester zu hören, dieses Mal sogar mit recht viel Blech.

1990 führte Roger THE WALL in Berlin auf. Ein gigantisches Ereignis, bei dem sich nicht nur diverse Stars auf der Bühne tummelten, sondern auch über 350.000 Menschen anwesend waren. Michael Kamen dirigierte während der Show das Berliner Rundfunk-Orchester hinter der Bühne.

1994 erschien das Floyd-Album THE DiVISION BELL, auf welchem Kamen wieder für die Orchester-Arrangements sorgte, dieses Mal unterstützt von Edward Shearmur. Besonders im Finale, dem Song "High Hopes", kann Kamen wieder glänzen. Ich finde auch das Video sehr schön. Es unterstreicht das Thema des Songs, die Brücken in die Vergangenheit, die wir als Erwachsene mehr und mehr abreißen und damit auch ein wenig uns selbst verlieren, optisch sehr hübsch. Viele Dinge sind quasi durch die Augen eines Kindes gesehen.

2002 trat David Gilmour quasi unplugged auf und spielte unter anderem auch "High Hopes". Bei diesem Auftritt saß Michael Kamen am Piano und spielte am Ende des Songs auch Oboe.

Ungefähr aus der gleichen Zeit stammt der Song "Sonnet 18". Die Musik komponierte Kamen selbst, der Text ist von William Shakespeare.

1992 veröffentlichte Roger Waters sein Album AMUSED TO DEATH, sein bestes Soloalbum. Der Titel bezieht sich auf das berühmte Buch von Neil Postman, AMUSING OURSELVES TO DEATH. Darin geht es im Prinzip darum, dass es nicht das Problem ist, dass das Fernsehen Unterhaltung präsentiert, sondern, dass Fernsehen alles als Unterhaltung präsentiert. Bei Roger ging es dabei natürlich hauptsächlich um die Kriegsberichterstattung während des Ersten Golfkriegs, bei der sich die Zuschauer zuhause wie in einem Actionfilm fühlen und die eigenen Soldaten anfeuern konnten. Auch Orwell und Big Brother spielen auf dem Album eine Rolle. Michael Kamen war wieder für die Orchester-Arrangements zuständig. Rogers Zynismus kommt bei Songs wie "Late Home Tonight Part II" wieder zur Geltung. Darin besingt er die vermeintlich heroischen amerikanischen Flugzeugpiloten, die aus der Luft ihre Bomben auf Ziele am Boden abwerfen. Dazu passt dann auch das überpatriotische Arrangement von Kamen, welches das Ganze dann zusätzlich noch überzeichnet.

So, das soll es erst einmal mit Michael Kamen und Pink Floyd gewesen sein. Weitere berühmte Zusammenarbeiten mit Rockmusikern sind die mit Queen für den Film HIGHLANDER, bei der Kamen das Orchester für den Song "Who wants to live forever" arrangierte und natürlich Metallica, die für ihr Projekt "S&M" ein Best-of ihrer Songs erstellten und von Kamen mit Orchester-Arrangements versehen ließen. Auch hier trat Kamen live mit der Band auf.

 

Dazu gibt es sogar eine ganze Doku.

Und hier auch noch was zu seinem Saxophon-Konzert mit David Sanborn:

 

 

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Wow. Wow. Wow. Was für ein toller Artikel! Ich habe ihn jetzt dreimal durchgelesen und bin total neugierig geworden. Als klassische Musikerin bin ich mit den Hintergründen in der Rockmusik kaum bewandert. Ich freue mich sehr, mich nun einzuhören in all die verlinkten Beispiele und dann auch noch mehr Hintergründe über Michael Kamen kennenzulernen. 

Tausend Dank, lieber @Alexander Grodzinski für die mühevolle, liebevolle und detaillierte Ausarbeitung. ?

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Auch von mir ein großes Dankeschön für diesen Aufwand! Mir war bisher nicht bewußt, wieviel Spuren er im Rockbereich hinterlassen hat. Dabei hatten wir früher den Film THE WALL als 35mm-Kopie zu Hause und auch des öfteren gesehen. Die verlinkten Songs sind zum Teil richtig gut (nur Metallica sind nicht so meins, mir war auch gänzlich unbekannt, dass er auch mit denen zusammengearbeitet hat) und bei einigen meint man Kamen deutlich herauszuhören.

Als Filmkomponist mag ich nicht alles von ihm, aber bei Gelegenheit komme ich vielleicht mal auf mein Lieblings-Soundtrack-Album von ihm zu sprechen.

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Danke euch. :)

Gut, Michael Kamen hat ja in der Rockmusik angefangen. Ende der 60er Jahre studierte er Musik an der Juilliard. Zu dem Zeitpunkt war auch Mark Snow, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Martin Fulterman, auf der Schule. Snow und Kamen teilten sich dort nicht nur ein Zimmer, sondern gründeten auch zusammen die Band "The New York Rock & Roll Ensemble". In ihrer Musik vermischten sie bereits Rock und klassische Musik.

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Kamen sitzt in der Mitte und links unten ist Mark Snow, noch ohne Bart, dafür mit Haaren oben. :D

 

 

 

 

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Sehr schöne Einführung in seine Popmusik-Karriere, Alex. :)

Durch Michael Kamen und seine Musiken zu EVENT HORIZON und DIE HARD bin ich zur Filmmusik gekommen, von daher zählt Kamen wohl zu den wichtigsten Komponisten für mich überhaupt - die überschäumende emotionale Begeisterung, das "Feiernde" in seiner Musik (egal, ob nun im Melodischen oder im Dissonanten - bei ihm ist einfach alles ein exzessives Fest) hat meine Wahrnehmung, mein ganzes Verständis von Musik maßgeblich geprägt. Kamen war jemand, der sich völlig kompromisslos und ohne Absicherung in die Musik gestürzt hat. Einer, der das Pompöse, den Kitsch, die Grandezza innig umarmt hat, das Risiko eingehend, für seine Ehrlichkeit gescholten und geringgeschätzt zu werden. In Filmmusik- und Kritikerkreisen wird Kamen ja bis heute von vielen abgelehnt, teils sogar belächelt: zu simpel sei er gewesen, zu banal, zu gefühlig, zu direkt, ohne dabei den Umweg größter Kunstfertigkeit zu nehmen (obwohl er eigentlich ein brillanter Orchestrator war, und die Feinheiten des Orchestersatzes so poetisch durchdrungen hat, wie es viele seiner geschätzteren Kollegen nie hinbekommen haben). Und die Trennung zwischen U- und E-Musik hat ihn eben auch nie interessiert - was ja in seiner späteren Zusammenarbeit mit Pink Floyd und anderen Größen der Pop- und Rockmusik deutlich wird. 

Verwiesen sei diesbezüglich noch auf seine Anfänge in New York, wo er schon während seiner Studienzeit, Ende der 60er Jahre, zusammen mit Martin Fulterman (aka Mark "The X-Files" Snow) und Dorian Rudnytsky das New York Rock & Roll Ensemble gegründet hat. In dieser Crossover-Band, die in Frack und white tie auftrat und sogar Leonard Bernstein beeindruckte, hat Kamen gesungen, arrangiert und sein studiertes Instrument, die Oboe, gespielt. Hier wurde Kamens Interesse an der Verwischung der Grenzen zwischen E und U schon sehr früh deutlich. 

Einer der populärsten Songs ihres ersten Albums, "Brandenburg" (eine Variation auf den ersten Satz von Bachs fünftem Brandenburgischem Konzert) wurde schnell zum Aushängeschild für ihren Stil, quasi zu einem Trademark-Song - die Verschränkung von Barock und Rockmusik war 1969 ein ziemliches Novum (auf dem Plattencover ist Kamen übrigens der zweite von rechts): 

 

Mein persönlicher Lieblingssong der Gruppe ist allerdings "Beside You" von ihrem vierten Album, "Roll Over" (1971). Die wunderschöne Ballade, die Kamen 1998 als Hauptthema für seine Musik zu WHAT DREAMS MAY COME wiederverwendet hat, zeigt Kamens enormes melodisches Talent. Kamen singt den Song selbst, Mark Snow spielt die Oboe: 

 

EDIT: Oh, da haben wir wohl knapp gleichzeitig gepostet. Naja, doppelt hält besser. ;) 

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Ja, doppelt kann nicht schaden. :D

Den Song "Beside You" haben Kamen und Snow zusammen geschrieben. Deshalb wird Snow auch in den Credits des Score-Albums zu WHAT DREAMS MAY COME bei den Tracks, in denen die Melodie auftaucht, als Co-Komponist genannt. Im Cinema-World-Interview erzählte Snow damals, dass er eben eines Tages einen Anruf von Kamen bekam und der ihn fragte, ob er diesen Song, den sie vor 25 Jahren zusammen geschrieben haben, für seinen Score verwenden kann. Snow stimmte natürlich zu.

Eine kleine Randnotiz: Nach dem Tod von Michael Kamen brachte David Gilmour bisher noch zwei weitere Soloalben heraus. Dort war dann ein anderer Filmkomponist für die Arrangements verantwortlich, Zbigniew Preisner. Auch dieser trat live mit Gilmour auf und dirigierte das Orchester beim letzten Konzert von Gilmours ON AN ISLAND Tour in Danzig.

 

 

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Vielen Dank erstmal Alex für diese musikalische Reise. :)
Schön, dass nach Trevor Rabin ein weiterer Komponist eine aktuelle, ausführliche Werkschau bekommt.

Das macht wirklich Lust sich auch mal mit Roger Waters bzw. David Gilmour auch mehr zu beschäftigen, denn die Hörbeispiele gefallen mir wirklich sehr gut. Ich persönlich kannte bisher nur die Zusammenarbeit mit Metallica von Michael Kamen.

Lohnt sich denn diese Aufführung von THE WALL: https://www.amazon.de/gp/product/B0150QGRKA/ref=ox_sc_saved_title_1?smid=A3JWKAKR8XB7XF&psc=1

Viele Rezensionen bemängen da ja, dass das eigentliche Konzert immer wieder von Interviews unterbrochen wird. Stört das bzw. wie nah ist denn das am 'Original'? :)

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vor 43 Minuten schrieb TheRealNeo:

Vielen Dank erstmal Alex für diese musikalische Reise. :)
Schön, dass nach Trevor Rabin ein weiterer Komponist eine aktuelle, ausführliche Werkschau bekommt.

Das macht wirklich Lust sich auch mal mit Roger Waters bzw. David Gilmour auch mehr zu beschäftigen, denn die Hörbeispiele gefallen mir wirklich sehr gut. Ich persönlich kannte bisher nur die Zusammenarbeit mit Metallica von Michael Kamen.

Lohnt sich denn diese Aufführung von THE WALL: https://www.amazon.de/gp/product/B0150QGRKA/ref=ox_sc_saved_title_1?smid=A3JWKAKR8XB7XF&psc=1

Viele Rezensionen bemängen da ja, dass das eigentliche Konzert immer wieder von Interviews unterbrochen wird. Stört das bzw. wie nah ist denn das am 'Original'? :)

Erst mal vorweg: Von der ersten THE-WALL-Tour der Floyd 1980/81 gibt es offiziell nur eine Doppel-CD. Es wurde zwar das gesamte Konzert in Londoner Earls Court damals mitgefilmt, weil daraus eigentlich der Film entstehen sollte, aber Roger gefiel die Idee eines "richtigen" Films dann besser, weshalb das Material bis heute unveröffentlicht ist. Offiziell natürlich. Auf YT gibt es diverse Clips von den Aufnahmen von 1980/81, die allerdings wie von VHS-Bändern gerippt aussehen und auch so klingen.

Von der Aufführung an der ehemaligen Berliner Mauer 1990 gibt es eine Live-DVD, aber die qualitativ beste Live-Veröffentlichung von THE WALL ist tatsächlich deine oben verlinkte Blu-ray. Roger war 2012 mit THE WALL wieder weltweit auf Tour, die kommerziell erfolgreichste Tour eines Musikers überhaupt, und dieser Film ist das Ergebnis davon. Das Konzert wird nicht wirklich durch Interviews unterbrochen, es gibt eine Rahmenhandlung. Und zwar begleitet man Roger auf seiner Reise durch Frankreich und Italien. In Frankreich besucht er das Grab seines Großvaters, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist und in Italien die Gedenkstätte der gefallenen Soldaten bei Anzio, wo auch sein Vater im Zweiten Weltkrieg starb und bei der er zuvor noch nie gewesen ist. Auf seinem Weg nimmt er in seinem Auto immer wieder andere Leute mit. Mal seine Familie, mal alte Weggefährten und mit allen redet er eben über die Dinge, die ihn beschäftigen. Das passiert dann immer wieder zwischen den Konzertszenen, es ist also tatsächlich kein reiner Konzertfilm, aber ich finde es als Ganzes sehr berührend. Musikalisch klingt Roger alleine für mich immer ein wenig wie eine Pink-Floyd-Coverband, weil einfach Gilmours Stimme und Gitarre, sowie Wrights Keyboards und Masons Drums fehlen. Und die machten den Floyd-Sound nun mal mehr aus, als Rogers Gesang und sein Bass. Aber eine bessere Live-Veröffentlichung von THE WALL, in die mindestens ein Floyd-Mitglied involviert ist, gibt es nicht. Zumal auch die Show einfach spektakulär ist, wenn man sich nur mal die Eröffnung ansieht:

Und natürlich gibt es den Kinofilm von 1982 auf DVD:

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Bitte. :) Mein erstes Floyd-Album war THE WALL, es ist allerdings nicht repräsentativ für das gesamte Werk der Band, die viele Phasen durchlaufen hat. Die frühen Alben, Ende der 60er bis Anfang der 70er, sind sehr von psychedelischen Experimenten geprägt. Das Album MEDDLE von 1971 war dann der Startschuss dessen, was Pink Floyd werden sollte. 1973 erschien dann DARK SIDE OF THE MOON, welches mit Michael Jacksons THRILLER und ACDCs BACK IN BLACK zu den meistverkauften Alben überhaupt zählt (über 50 Millionen Exemplare). Es ist ein Konzeptalbum über das Leben sozusagen und wie man verrückt werden kann, also auf die dunkle Seite des Mondes gelangt, wenn man sich ständig von den Zwängen des Lebens hetzen lässt.

Das nächste Album war 1975 dann WISH YOU WERE HERE, mit dem sphärischen "Shine on you crazy diamond". ANIMALS war 1977 dann das Gegenteil des sphärischen WISH YOU WERE HERE. Basierend auf Orwells Roman FARM DER TIERE, in dem jedes Tier eine bestimmte Menschengruppe darstellt, gibt es auf dem Album dann eben die Songs "Dogs", Pigs (Three different ones)" und "Sheep". Die Schweine sind hier die Politiker und in den drei Versen des Songs, also drei verschiedene Schweine, rechnet Roger mit ihnen ab. Im zweiten Vers geht es beispielsweise um Magaret Thatcher und im dritten um Mary Whitehouse, die damals dafür bekannt war, alles verdammen und zensieren zu wollen, was nicht in ihr enges Weltbild passte. Bis letztes Jahr war Roger ja wieder auf Tour, dieses Mal mit dem Titel "Us & Them" und da spielte er auch "Pigs", nur, dass seine ganze Wut dieses Mal natürlich Trump galt. Das Cover des Albums, die berühmte Battersea Power Station in London, mit ihren vier Schornsteinen, zwischen denen ein Schwein fliegt, wurde sogar im Film CHILDREN OF MEN aufgegriffen. Da gibt es eine Szene, in der Clive Owen in einem Bürogebäude ist und im Hintergrund sieht man durch das Fenster die Schornsteine des Kraftwerks, zwischen denen ein Schwein fliegt. ;)

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Während bei Orwell die Schafe, also die gesichtslose "dumme" Masse, den Aufstand auf der Farm proben, der von den Hunden niedergeschlagen wird, sind sie auf dem Album erfolgreich und stürzen die Hunde.

1979 kam dann eben THE WALL, 1983 THE FiNAL CUT und nach dem Weggang von Roger veröffentlichten Gilmour, Wright und Mason als Floyd noch die Alben A MOMENTARY LAPSE OF REASON 1987 und THE DiVISION BELL 1994. Besonders die Live-Version von "Comfortably Numb", wiederrum aus dem Earl's Court, mit Gilmours minutenlangem, unglaublichen Gitarrensolo, ist heute schon legendär.

 

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Der passt tatsächlich eher zu Gilmours Spätwerk. Auf THE DIVISION BELL gibt es einige melancholische Songs, das ganze Album wird von so einem Geist des Abschieds durchdrungen. Das Thema des Albums ist unterbrochene Kommunikation in verschiedensten Formen. Beim Song "Poles Apart" geht es im zweiten Vers sogar um Roger Waters. Auch Michael Kamen hat hier wieder einen Auftritt. Und bei "Keep Talking" hört man den Sprachcomputer Stephen Hawkings.

 

Gilmour veröffentlichte danach zwei Soloalben, ON AN ISLAND 2006 und RATTLE THAT LOCK 2015. Auch da gibt es einige sehr schöne Sachen. Bei der ON AN ISLAND Tour war Richard Wright sogar an den Keyboards dabei. Leider starb er ja 2008:

 

 

 

Aber auch Keyboarder Richard Wright veröffentlichte Soloalben. Sein letztes, BROKEN CHINA von 1996, beinhaltet den Song "Breakthrough", der von Sinead O'Connor gesungen wird:

Und auf seinem ersten Soloalbum WET DREAM von 1978 gibt es kurioserweise einen Song namens "Pink's Song".

 

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Schöner Thread, vielen Dank! Ich finde die Beiträge Michael Kamens als Arrangeur im Pop/Rock Bereich oftmals schöner (hab absichtlich nicht besser geschrieben) als seine Filmmusiken.

Wobei das ja auch oft Hand in Hand geht, wie bei Highlander, Robin Hood oder The Wall. Man kann's auch immer ganz gut hören, wenn er am Werk war, seine Art Streichinstrumente einzusetzen ist doch recht charakteristisch.

Hier mal bei Silent Lucidity von Queensryche:

 

... oder Nobody's Hero von meiner ewigen Lieblingsband :)

 

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Am 15.7.2019 um 14:06 schrieb Alexander Grodzinski:

Als Annie Lennox 2004 den Oscar für "Into the West" gewann, widmete sie diesen unter anderem Michael Kamen.

[...]

Was Anke Engelke damals bei der Fernsehübertragung der Verleihung nicht mitübersetzte in ihre Kommentierung ?...

damals hab ich mich über sowas noch geärgert ?

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  • 4 Monate später...
  • 11 Monate später...
vor 10 Stunden schrieb Stefan Jania:

@Alexander Grodzinski Weißt Du, woraus dieses Portrait stammt? Scheint mir ein Bonus-Material zu einer DVD zu sein. Aber mehr dazu finde ich nicht. Clapton. Harrison. Gilmour. Sanborn.

Würde mich auch interessieren. Teile davon - die mit seiner Tochter, und die Proben für das Saxophonkonzert - habe ich schon mal separat auf YouTube gesehen, allerdings noch nie das ganze Featurette.  

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vor 10 Stunden schrieb Stefan Jania:

@Alexander Grodzinski Weißt Du, woraus dieses Portrait stammt? Scheint mir ein Bonus-Material zu einer DVD zu sein. Aber mehr dazu finde ich nicht. Clapton. Harrison. Gilmour. Sanborn.

Leider nein. Auf der Gilmour-DVD ist es nicht drauf. 

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Ich habe allerdings das hier gefunden:

DVD: Michael Kamen - Concerto for Saxophone

Scheinbar wurde eine Doku Anfang der 90er produziert, die es auf DVD und Laserdisc gibt. Da gibt es Musikvideos zu den einzelnen Movements, aber deklariert ist das Ganze als "Documentary chronicling the creation of Michael Kamen's Concerto for Saxophone, with music videos of all 3 Movements." Der YouTube-Clip könnte also ein Teil davon sein, insgesamt läuft die Doku knapp 55 Minuten.

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  • 5 Monate später...

Die Familie des verstorbenen Pink-Floyd-Keyboarders Richard Wright hat eine Art Erinnerungsseite erstellt. Dort gibt es auch bisher nicht gezeigte Fotos aus dem Privatarchiv zu sehen. Auf einem davon, aufgenommen circa 1993, ist Richard Wright, ganz rechts, mit Michael Kamen zu sehen. Scheinbar haben die beiden zusammen Urlaub gemacht. Wright hatte ein Segelboot, liebte das Meer und segelte vor allem um die griechischen Inseln, da er dort auch ein Ferienhaus hatte.

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Quelle

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