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Soundtrack Board

Piero Piccioni


Angus Gunn
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Da ich mich in letzter Zeit wieder vermehrt mit Piccionis Filmmusik beschäftige (an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an Stefan), verspüre ich das Bedürfnis, mich zu einigen seiner Werke anerkennend zu äußern. Natürlich ist Piccioni jemand, der hier im Forum bisher wenig Beachtung gefunden hat, und das kann man ja ruhig mal ändern, zumal sich in seiner üppigen Filmografie sowohl Genre-Titel wie auch etliche anspruchsvollere, zum Teil vergessene, Perlen finden. Und freilich gehe ich da erstmal von persönlichen Präferenzen aus, wie z.B.:

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Ich weiß nicht mehr genau, im welchem Alter mir dieser Film von meinem Vater vorgeführt wurde, aber es war noch zu einer Zeit, als mir der Name Piccioni noch gänzlich unbekannt war. Die 35-mm-Kopie, die da in den heimischen vier Wänden zum Einsatz kam, wies die eine oder andere Klebestelle auf, war im Großen und Ganzen aber in einem sehr ordentlichen Zustand. Die Geschichte einer Piratenmeute, die sich auf einer Felseninsel einnistet, und mit dem Leuchtturmwärter Denton eine Hetzjagd im "Most Dangerous Game"-Stil veranstaltet, lag mit ihrem nihilistischen Duktus und den nicht unbeträchtlichen Grausamkeiten durchaus im Trend der Zeit und hatte mit den schwungvollen Seeräuberspektakeln vergangener Tage nicht mehr viel gemein. Mich hat es jedenfalls schwer beeindruckt, und der Film lief danach noch mehrmals über den Spulenturm unseres Bauer-Projektors.

Piero Piccioni ist mir danach lange Zeit nie mehr begegnet. Ich verband seinen Namen ausschließlich mit jener unwirtlichen Insel auf der sich Kirk Douglas und Yul Brynner ihr erbarmungsloses Duell liefern. Mit den enervierenden, hypnotischen Stücken zu denen Douglas durch die felsige Landschaft gehetzt wird, mit den samtigen Streichern und Carillon-Klängen, mit denen Denton sich an seine verflossene Liebe Emily Jane zurückerinnert. Mit dem aufwühlenden Kongre-Motiv und natürlich mit jener ausladenden, romantisierenden,  von Abenteuern und fernen Orten erzählenden Titelmusik.

Papa ist dann vor ein paar Jahren gestorben. Und welches Musikstück wäre als Trauerbegleitung besser geeignet gewesen als dieses, das sowohl mit persönlicher Erinnerung verbunden ist, wie auch die angemessene Würde und Erhabenheit auszustrahlen vermag?

 

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In seiner früheren Schaffensphase hat Regisseur Mauro Bolognini mehrmals mit Piccioni zusammengearbeitet, bevor er später eher auf Morricone als bevorzugten Komponisten zurückgriff.

Der junge Emilio (Anthony Franciosa) lebt mit seiner Schwester in einer Wohnung in Triest. Sein Leben verläuft bieder und ereignisarm, bis er sich in die attraktive Angiolina (Claudia Cardinale) verliebt, die einen selbstgefälligen Charakter besitzt und zu einem ungezwungenen Lebenswandel neigt. Emilio gerät in einen Sog aus Abhängigkeit und Eifersucht, den Bolognini ohne jede ironische Brechung mit der Schwere einer klassischen Tragödie inszeniert. Die stilvolle Schwarz-weiß-Fotografie und die beeindruckenden Schauplätze von Triest mit ihren barocken und neoklassizistischen Bauten, das ist schon eindrucksvoll. Aber auch eine erste, längere Kuß- und Konversationsszene der beiden Protagonisten weiß Bolognini ausdrucksstark (und ohne Musik) vor dem Hintergrund eines dampfenden Industriegeländes zu inszenieren.

Die Musik ist bis ins Detail stimmig, warmherzig, aber stets von Zweifeln begleitet, zunehmend dramatisch und auf ein fatales Ende zusteuernd. Das Album folgt nicht der Filmreihenfolge. Es beginnt mit dem Stück MUSICA DELLA NOTTE, das im Film nach etwa der Hälfte der Laufzeit einsetzt und den von Argwohn und Kummer geplagten Emilio beim ziellosen Umherirren durch die nächtlichen Straßen begleitet. Ein Stück von großer emotionaler Spannung und Empathie, das auf höchst eindringliche Weise den Seelenzustand des Protagonisten auslotet. Ein zweites Thema wird vorstellig in einem schwerfälligen TANGO mit leicht grotesken Zügen. TEMA DI AMALIA ist ein elegisches Kleinod, das Emilios Schwester zugedacht ist, die im Film ebenfalls ein tragisches Schicksal erfährt. CHIMERA hantiert mit melancholischen, hallenden Klavierklängen, die zusammen mit der behutsamen Begleitung einen entrückten Charakter annehmen. In u.a. AMORE VANO und QUASI AMORE schließlich kommt das wunderbare Liebesthema in vollem Streicherglanz zur Geltung.

Und noch eine Szene möchte ich herausgreifen: Nach der ersten Annährung, die gänzlich ohne Musik stattfindet, besucht Emilio Angiolina in ihrer Wohnung. Er steigt die verwahrlosten Treppen eines heruntergekommenen Mietshauses empor, wird oben von ihr und ihrer Mutter empfangen. Er stellt sich vor, es gibt etwas Unruhe mit herumspielenden Kindern. Sie bittet ihn in ihr Zimmer und schließt die Tür. In dem Moment setzt das Tango-Thema wieder ein, diesmal in einer helltönenden, sphärenhaften Variante (MUSICA DEL MARE). Er befindet sich nun am Ziel seiner Wünsche, in einer Art Zauberwelt, den tristen Alltag hinter der Zimmertür zurücklassend. Derlei clevere Musikeinsätze finden sich mehrfach im Film, den ich vielleicht nicht mehr zur Gänze zum italienischen Neorealismus zählen würde, der aber noch deutlich von diesem beeinflußt ist.  

Es sollte klar geworden sein: SENILITA ist mein absoluter Piccioni-Favorit. Zutiefst romantisch, aber gleichsam auch dramatisch und atmosphärisch unglaublich dicht, nach Piccionis eigener Aussage inspiriert von Debussy. Aber auch den Film sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

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LA VIACCIA ist etwa ein Jahr vor SENILITA entstanden und behandelt das sehr ähnliche Thema von Liebe und Abhängigkeit, und auch hier führt der Weg für den männlichen Part in den Untergang, da die Frau in der Lage ist, in letzter Konsequenz aus opportinistischen Erwägungen zu handeln. 1885: Der junge Amerigo (Belmondo) lebt im Kreise seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen in der italienischen Provinz. Nach dem Tod des Großvaters wird Amerigo in die Stadt geschickt, wo er in der Weinhandlung eines Verwandten eine Arbeit findet. Eines Tages lernt er die Prostituierte Bianca (Cardinale) kennen und verliebt sich in sie. Um sie weiterhin besuchen zu können, bestiehlt er seinen ausbeuterischen Arbeitgeber, was zu weiteren Konflikten führt.

Für die Filmmusik adaptiert Piccioni hier Debussys RAPSODIA PER SAX E ORCHESTRA, was auch ganz wunderbar funktioniert. Die Debussy-Stücke ergänzen sich trefflich mit Piccionis eigenen Kompositionen, bei denen er  sich diesmal mehr auf solistische Holzbläser-Einsätze und sehr düstere Klangfarben konzentriert. Samtige Streicherflächen, wie noch in SENILITA, gibt es hier nicht. Überhaupt ist die Musik hier um einiges spröder, besitzt weniger Oberflächenreize, und kommt so der trübseligen Stimmung von Bologninis Sozialdrama entgegen. Dennoch ein lohnenswertes Album, das auch diverse Source-Music-Tracks enthält, mit denen die Bordell-Szenen ausgestattet sind.

Die deutsche Kinofassung des Films (Ohne O-Ton, mit deutschen Vorspanntiteln) ist auf einer empfehlenswerten DVD erschienen. Sauber abgetastet von einer gut erhaltenen Kopie, mit leichten Verschmutzungen, gelegentlich holprigen Übergängen bei Spulenwechseln und authentischem Zelluloid-Flair.

 

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IL MOMENTO DELLA VERITA

Diesen Film habe ich vor langer Zeit mal in der Fernsehausstrahlung gesehen, von daher ist er mir nicht mehr in allen Details präsent. Es geht um einen jungen Mann aus provinziellen Verhältnissen, der in der Strierkampfarena zum umjubelten Helden wird. Die Geschichte wird mit Pathos und psychologischem Unterbau erzählt, und natürlich sind die Kämpfe in der Arena auch metaphorisch zu verstehen. Kamera und Schnitt sind exzellent, werden zum Teil bewußt zerfahren eingesetzt, was den Eindruck von improvisiertem Dokumentarmaterial erzeugt.  Tatsächlich ist hier nichts gestellt, und auch das Blut, das den Tieren aus Wunden und Mäulern läuft, ist echt, was diesen Film, so eindrucksvoll ich ihn damals auch fand, zu einem zwispältigen Erlebnis macht, bei dem man um die moralische Grundsatzfrage als Zuschauer nicht herumkommt.

Die Filmmusik habe ich seinerzeit, noch bevor ich den Film gesehen hatte, durch die CAM-CD kennengelernt. Und noch heute verspüre ich eine gewisse nostalgische Zuneigung zu den Scheiben aus CAMs Soundtrack-Encyclopedia, war es doch jene Serie mit dem markanten Cover-Design und den spärlichen, holprig übersetzten Texten, die mir damals meinen ersten Zugang in die Welt südeuropäischer Filmmusik abseits der gängigen Titel erstmals ermöglichte.

Mit schwerer Kirchorgel, satten Streicherflächen und Corrida-Fanfaren entfacht Piccioni eine aufwühlende Tour-de-Force, deren Melodik einfach atemberaubend ist. Dem Stierkämpfer wird hier nicht bloß gehuldigt, er wird  geradezu in sakrale Sphären gehoben. Das ist grandios anzuhören und nach ca. 17 Minuten vorbei, denn man hat lobenswerterweise den Score in 7 aufeinanderfolgenden Tracks präsentiert, getrennt von den Jazznummern, die sich mit den Track 8-12 anschließen.  Eine der essenziellen Piccioni-CDs!

 

 

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SCHÖNE ISABELLA / C´ERA UNA VOLTA

Ich weiß nicht, wie Carlo Ponti auf die Idee gekommen ist ausgerechnet Francesco Rosi den Regieauftrag für einen Märchenfilm (und Star-Vehikel für Sophia Loren) zu übertragen. Was im ersten Augenblick einfach nicht zusammenpaßt, erweißt sich im Ergebnis als charmante, volkstümelnde, von Rosis regulärem Kameramann Pasqualino De Santis sehr gut gefilmte Aschenputtel-Mär um zaubernde Hexen, einen schwebenden Mönch, einer Küken-Invasion und sieben Semmelklöße.

Nicht nur aus meiner Sicht, auch nach Piccionis eigener Einschätzung ist diese Partitur eine seiner allerschönsten. Eine äußerst charmante und wunderbar melodische Musik mit einem hinreißenden Hauptthema (Prince Rodrigo). Gleichermaßen elegant wie lebhaft strahlt es mit den Hörnern auch die nötige Erhabenheit aus. Der Score ist bei GDM auf CD erschienen, allerdings würde ich zur FSM-Edition raten, die sowohl den LP-Schnitt der US-Version (mit der für den US-Markt konzipierten vorangestellten Song-Fassung des Themas) bietet, wie auch den kompletten Score in chronologischer Reihenfolge. Dieser ist um einiges umfangreicher und enthält u.a. mehr von den rhythmischen Turnier-Stücken und vor allem die komplette Musik zum Geschirrspül-Duell die bei GDM mittendrin einfach ausgeblendet wird.

 

 

 

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LE MANI SULLA CITTA (Hände über der Stadt):  Edoardo Nottola ist Abgeordneter im neapolitanischen Stadtparlament und skrupellos agierender Bauspekulant. Bei den Arbeiten an einem von ihm iniziierten Wohnungsbauprojekt stürzt (in einer beklemmend realistischen Szene) ein angrenzendes Mietshaus ein. Es gibt Tote und Verletzte, und es stellt sich heraus, dass das Haus unzureichend gesichert war. Daraufhin gerät er ins Visier seiner politischen Gegner, die ihn auf diese Weise zur Rechenschaft ziehen wollen. Vergangene Korruptionsaffären werden aufgedeckt und veröffentlicht, doch Nottola ist nicht so leicht beizukommen und so steuert der Film auf ein zynischen Ende zu.

Ein meisterhaft inszeniertes Drama von Francesco Rosi mit einem nicht minder genialen Rod Steiger in der Hauptrolle. Der Film beginnt (und endet) mit einer Hubschrauber-Persepektive über dem Häusermeer von Neapel. Die Titelmusik klingt nach Krimi, ist aufbrausend und aggressiv. Eigentlich ungewöhnlich für Rosi, der bei solchen politisch brisanten Themen doch musikalisch eher diskret zu Werke geht. Score gibt es im weiteren Verlauf des Films dann aber auch sehr wenig. Sehr viel weniger als sich auf der CD befindet, die natürlich sämtliche eingespielte Varianten des Themas bietet, abwechseld mit launigem Lounge-Jazz. Unterm Strich sind das 17 Tracks von recht repetitivem Charakter. Dennoch ein guter Score in sehr ordentlicher Klangqualität.

In SALVATORE GIULIANO (Wer erschoß Salvatore G?) arbeitet Rosi einen authentischen Fall auf, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch nicht lange zurücklag. Zum Teil griff er dabei auf Laiendarsteller zurück, die auch in die tatsächlichen Vorfälle involviert waren. Der Bandit Guiliano wird in einem Hinterhof tot aufgefunden. Anscheinend bei einem Polizeieinsatz in Notwehr erschossen. Als der Fall aufgerollt wird, kommen jedoch Details ans Licht, die eher auf eine gezielte Hinrichtung hindeuten und zu einem eng verzahnten Räderwerk zwischen Polizei, Mafia und Politik führen. Piccioni hat hierzu einen überaus ungewöhnlichen Score geschaffen, der mit langgezogenen, dissonanten Klangflächen und beklemmenden Motiven in tiefen Tonlagen zur Aufmerksamkeit zwingt. In einer begrüßenswerten Entscheidung wurde die Musik zu einer 14-minütigen Suite zusammengeschnitten, die sich wirklich sehr gut und interessant durchhören läßt, zumal sie sich auf der Zielgeraden zu einer richtigen Melodie entwickelt und in einem requiemartigen Thema ausklingt. Ein trotz oder gerade wegen seiner exzentrischen Art beeindruckender Score. Mein klarer Favorit unter den drei hier vertretenen Werken.

Noch wagemutiger geht Piccioni bei IL CASO MATTEI zu Werke, der eine rein elektronische, enervierend hämmernde Klangkulisse bekommen hat, die ohne jeglichen Ansatz von Melodie, permanente Unruhe hervorzurufen im Stande ist. Erst in den letzten zwei Minuten mischt Piccioni die Klänge einer Jazzband hinzu, und es ist jene Collage, die dann auch Anknüpfungspunkt zu Rosis nächsten Film LUCKY LUCIANO ist, wo sie als Titelmusik Verwendung fand. Auch dieser Score wird auf dem Album als Suite präsentiert, die sicherlich kein Hörvergnügen im herkömmlichen Sinne ist. Als Studienobjekt jedoch durchaus von Interesse.

 

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Die Wahrheit ist nicht immer revolutionär.

Ein Staatsanwalt wird durch einen gezielten Schuß auf der Straße ermordet. Inspektor Rogas ermittelt, und schon bald häufen sich ähnliche Todesfälle. Die Opfer sind stets hohe Amtspersonen und staatliche Würdenträger. Eine zeitlang konzentriert er seine Untersuchungen auf einen verschwundenen Apotheker namens Kress, der vor Jahren schonmal wegen eines versuchten Giftmordes fünf Jahre im Gefängnis saß. Doch die Dinge entgleiten seiner Kontrolle. Ein Komplott ist im Gange, und Rogas sieht sich einer allgegenwärtigen, diffusen Überwachung und Bedrohung ausgesetzt.
 

DIE MACHT UND IHR PREIS ist ein sehr kalter, beinahe emotionsloser Film. Er beginnt in einer Kapuzinergruft mit authentischen Mumien und endet im Museum zwischen nicht minder leblosen Statuen. Zwischenmenschliches findet nicht statt, Rosi läßt seine Schauspieler bevorzugt in hohen, sterilen Räumlichkeiten agieren. Lino Venturas Rogas ist die einzige Figur, die gelegentlich Emotionalität erkennen läßt. Letzten Endes läuft der Film auf das deprimierende Porträt einer seelenlosen Überwachungsmaschinerie und auf politische Interessenskonflikte hinaus, die für das einfache Individuum undurchschaubar sind und bleiben. Interpretationsspielraum, auch hinsichtlich aktueller Entwicklungen, inklusive.

Obwohl Rosi nichts ferner liegt, als mit herkömmlichen Polizeifilm-Klischees zu hantieren, erzeugt er eine stetige Unruhe, die sich mit zunehmender Laufzeit steigert. Tatsächlich ist gerade die zweite Filmhälfte von einer derart atemberaubenden Spannung, wie ich es nur selten erlebt habe. Geadelt wird dieses Meisterwerk von einer Riege exzellenter Charakterdarsteller von Alain Cuny bis Max von Sydow.

DEAD FLOWERS heißt die schwer-dräuende, streicherlastige Titelmusik auf dem Album. Und wenn es eines Tracks bedarf, der die Atmosphäre des Films trefflich einfängt, dann ist es dieser. Mehr Score taucht im ganzen Film sonst nicht auf, obwohl sich noch zwei weitere, ähnlich dissonante Stücke angeboten hätten. Alles andere auf der CD ist Source Music, und selbst davon ist nur ein kleiner Teil im Film wiederzufinden. Guter, klassischer Big-Band-Jazz ohne exzentrische Abweichungen. Es gibt drei lässige, schön ausgearbeitete Sechsminüter (u.a. BLACK CONNECTION) mit Orgel und Saxophon in bevorzugten Solo-Parts, sowie das entspannte PROJECT FOR A DREAM, das auch in einer alternativen Streicher-Fassung angeboten wird. Unter Piccionis Jazz-Alben ist mir dieses ein angenehmer Zeitvertreib, auch wenn es freilich kaum die Stimmung des dazugehörigen Filmes wiederspiegelt.

 

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DIE SPIONIN VON GIBRALTAR

"Der wagemutige Einsatz einer Spezialeinheit von Kampfschwimmern (1940) ist hier wenig originell mit Spionage- und Liebesabenteuern garniert. Regisseur De Robertis, selbst ehemaliger Marineoffizier und Chef des italienischen Marinefilmdienstes, vermag immerhin einige militärische und technische Details kompentent ins Bild zu setzen." (Aus dem Lexikon des internationalen Films)

Der Film ist mir unbekannt, und die Musik hat mich bei der Erstbegutachtung durchaus überrascht. Es ist nämlich ein reinrassiger Golden-Age-Score, der sich allen Verzierungen und Klangfarben bedient, die man von solch einer Musik erwarten darf.  Mit einem ausladenden, maritimen Hauptthema, eingeflochtenen Orientalismen und einem einschmeichelnden Liebesthema. Hätte ich die Musik gehört ohne den Namen des Komponisten zu kennen, und lediglich mit dem Wissen ausgestattet, dass es sich um einen italienischen Film handelt, hätte ich vermutlich auf einen Vertreter der älteren Generation wie Cicognini oder Masetti getippt. Von Piccioni jedenfalls habe ich sowas nicht erwartet. Molto Bene!

 

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Die 70er Jahre brachten eine ganze Schwemme von Filmen hervor, die dem Publikum das unmoralische Treiben hinter Klostermauern näherzubringen trachteten. Auslöser dieser Welle war vermutlich der Film DIE NONNE VON MONZA aus dem Jahr 1969, für den Ennio Morricone eine seiner anmutigsten Partituren geschrieben hatte. Aber auch Piero Piccioni empfand das Genre offenbar als überaus inspirierend, denn er legte ein paar Jahre später gleichwertig nach. Und das tat er mit der Musik zu DIE NONNE VON VERONA. Ein Werk, das sich zwar ebenfalls auf eine literarische Vorlage beruft, aber  um einiges exploitativer angelegt ist, weswegen man sich über die beseelte und überaus kultiviert klingende Komposition fast schon wundern muß. Das Hauptthema ist ohne Zweifel eine von Piccionis schönsten und malerischsten Schöpfungen. In kunstvollen Verianten zieht es sich durch den gesamten Score und wird auch, in etwas abgewandelter Form, in den Nachfolge-Film DER NONNENSPIEGEL mit hinübergenommen. Die musikalischen Schwerpunkte liegen auf den Streichern, den Holzbläsern und der Orgel. Sakrale Frauenchöre runden das Bild ab, und in einem Track wechselt mal kurz Stimmung hin zu majestätischer Jagdhorn-Romantik.

 

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Ich erinnere mich noch, wie ich vor vielen Jahren mal von einer Party nach Hause kam und beim Zappen durchs TV-Programm auf Cadaveri eccellenti stieß. Die Titelmusik hat mich damals sehr beeindruckt und dürfte auch meine erste Begegnung mit der Musik von Piccioni gewesen sein. Allein wegen der Titelmusik wollte ich mir am nächsten Tag die CD zulegen, aber die war damals in der Tat schon bei sämtlichen Händlern vergriffen. Meine Debüt-CD von Piccioni wurde dann halt der ganz anders geartete Puppet on a Chain.

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vor 6 Stunden schrieb Oliver79:

Meine Debüt-CD von Piccioni wurde dann halt der ganz anders geartete Puppet on a Chain.

Ja, der hat sicher ein mitreißendes Titelthema, ist aber darüberhinaus weniger ergiebig. Meine erste Begegnung mit Piccioni war, wie oben schon geschrieben, der Film "Das Licht am Ende der Welt". Mein erster Tonträger muß dann "Sartana" gewesen sein, der auf der B-Seite einer Intermezzo-LP zu finden war. Zu der Zeit fing ich gerade erst mit dem Sammeln an und Italo-Western gehörten damals zu meinen bevorzugten Filmmusik-Trophäen. Und wo ich den gerade schon erwähne, kann ich auch direkt damit weitermachen:

 

SARTANA - BETE UM DEINEN TOD ist ein unterhaltsam inszenierter, leichenreicher, aber ironisch gebrochener Italo-Western. Der Film war die eigentliche Geburtsstunde des von Gianni Garko verkörperten Sartana-Charakters, dessen Name ironischerweise von deutschen Verleihern für den früher entstandenen Garko-Film MILLE DOLLARI SUL NERO ersonnen wurde, und dann von den italienischen Produzenten übernommen wurde.

Piccionis Western-Scores sind stets von ganz eigener Art und kaum mit den Werken anderer Komponisten in diesem Genre zu vergleichen, weder in Italien, noch in Amerika. Nicht jeder kommt damit klar. In den Amazon-Kommentaren ist von einem "saumäßigen Soundtrack" zu lesen. Oder von einer Musik "auf Saloon-Niveau" - was immer das heißt.  Allerdings meine ich mich erinnern zu können, dass diese CD auch damals in Luc van de Vens Soundtrack-Magazin die schlechteste Bewertung bekam. Vermutlich wurden konventionellere Western-Klänge erwartet, aber Piccioni wandelt hier tatsächlich auf ganz eigenen Pfaden.

Und so sind auch die zwei Hauptthemen dieses Albums so eigenwillig wie originell. Zum einen das anschwellende Sartana-Thema mit Blech und Orgel. Zum anderen das eingängige, lounge-jazz-geprägte SYCAMORE TRAILS, das in seiner entwaffnenden Lässigkeit gefällt. Auch spätere Varianten dieses Themas wie COMING TO THE POINT oder MEXICAN BORDERS gehören zu den Highlights des Albums. ANNELISE heißt das flauschige, aber auch wenig inspirierte Liebesthema, das schnell wieder vergessen ist.  In einigen Tracks nutzt Piccioni bevorzugt das Fagott zum Erzeugen einer mysteriösen, spannungsfördernden Atmosphäre. Eine handvoll Saloon-Tracks sind natürlich auch vorhanden, und im kurzen THE GREEN VALLEY werden vorübergehend wuchtigere, fast epische Töne angeschlagen.

Es ist nicht Piccionis bester Western-Score, aber er bietet gefällige Themen und relativ viel Abwechslung, dass auch die Laufzeit von immerhin fast einer Stunde ohne größere Flauten goutiert werden kann.

 

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  • 2 Wochen später...

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DER MANN MIT DER GOLDENEN KLINGE (1966) ist ein Film, den es wiederzuentdecken gilt. Er scheint bislang, zumindest bei uns,  lediglich in den 60er Jahren im Kino gelaufen und danach in der Versenkung verschwunden zu sein. Der Verleihtitel setzt auf ein schwungvolles Mantel-und-Degen-Abenteuer. Tatsächlich basiert dieser Film aber auf Victor Hugos DER LACHENDE MANN. Ein Roman, der Hugos bevorzugtes Thema der tragischen Liebe und unerfüllten Sehnsüchte eines Ausgestoßenen behandelt. Ein junger Mann, dem als Kind ein unveränderliches, bizarres Lachen ins Gesicht geschnitten wurde, verliebt sich in eine blinde Schönheit.

Obwohl der Film von Sergio Corbucci hiervon lediglich die Grundidee übernommen hat, deutet das musikalische Arrangement auf eine ernsthafte, der Tragik und Grausamkeit der Geschichte angemessene Umsetzung hin. Und es gibt tatsächlich zwei Scores zu diesem Werk. Carlo Savinas im Film verwendete Komposition ist eine der beeindruckendsten, die ich von ihm bisher gehört habe. Das Hauptthema ist wuchtig, leidenschaftlich, tragisch. Ein weiteres Thema bietet einen leichteren, beschwingteren Gegenpol, ohne dass es die dräuende Gesamtstimmung trüben würde. Bei der Laufzeit von einer Stunde vielleicht etwas zuviel des Guten, aber dafür wirklich toll und mit voller Orchesterbesetzung umgesetzt.

Ähnliches läßt sich auch über den abgelehnten Piccioni-Score sagen, der in einer 12-minütigen Suite das Album abschließt. Warum Piccionis Musik nicht angenommen wurde ist mir hinsichtlich ihrer Qualität unverständlich, zumal sie von der Stimmung her in eine sehr ähnliche Richtung zielt. Tatsächlich habe ich Piccioni selten so dramatisch gehört wie hier. Düstere Klangfarben dominieren von Anfang an, auch dann noch, wenn sich im letzten Drittel ein äußerst intensives, sehnsuchsvolles Geigen-Thema entwickelt, bevor sich die Suite noch einmal wild-dramatisch aufbäumt und zu einem fulminanten Ende findet. Ein spektakulärer Score, den ich sogar der Savina-Musik vorziehen würde (was aber auch an der sehr gut zusammengestellten Suitenform liegen kann). Und da auch Savina hier sehr inspiriert zu Werke gegangen ist, kann ich dieses Album nur guten Gewissens empfehlen.

 

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  • 11 Monate später...

CRONACA DI UNA MORTE ANNUNCIATA

Der angekündigte Tod betrifft einen Mann namens Santiago Nasar. Getötet wurde er in in aller Öffentlichkeit von zwei Brüdern, die damit die Familienehre wieder herzustellen gezwungen waren. Ein Arzt, der nach vielen Jahren in die kolumbianische Provinzstadt zurückkehrt, rekonstruiert den Fall.

Eine Justiz, die aus dem Ruder läuft, ein moralisches Dilemma, die Einwohner in einer Kollektivschuld verstrickt - für einen Meisterregisseur wie Francesco Rosi genau das richtige Betätigungsfeld. Trotz formaler Perfektion erreicht der Film aber nicht die Wucht seiner besten Werke, und auch die sonst von ihm so gerne zelebrierte Nüchternheit weicht einer opulenten, melodramatischen Erzählweise. Dieser Eindruck geht zu einem Teil sicherlich auf Piccionis überwältigend schöne Streicherelegien zurück mit denen sich der Film bei einem an amerikanische Ästhetik gewohnten Publikum einschmeicheln möchte. Ich habe ihn lange nicht gesehen und mußte kürzlich erstaunt feststellen, dass es bis heute keine deutsche DVD-Veröffentlichung hiervon gibt. Trotz kleinerer Kritikpunkte habe ich ihn als unbedingt sehenswert in Erinnerung, und die Musik gehört ohne Zweifel zu Piccionis ergreifendsten Werken. Was jetzt noch fehlt ist eine würdige BD-Edition vom Film.

 

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Der gutaussehende, aus wohlhabendem Hause stammende Antonio ist ein rechter Frauenschwarm. Doch es gibt ein Problem: Sobald er sich einem Mädchen in aufrichtiger Liebe zugetan fühlt, ist es mit der körperlichen Annäherung vorbei. Als er sich in die unerfahrene Barbara verliebt und seine Impotenz bekannt wird, schlägt das im konservativen Sizilien hohe Wellen. Im Gegensatz zu den nachfolgenden, sehr ernsthaften Bolognini/Cardinale-Filmen SENILITA und LA VIACCIA, mischt dieser seine Geschichte mit verschmitztem Humor.

Der Score ist auch wieder von erlesener Anmut. Das Hauptthema ist gleichermaßen romantisch wie klagend, meist helltönend von den Streichern intoniert und taucht in nahezu jedem Scoretrack auf, hier und da begeitet von den bluesigen Klängen der Trompeten. Einige Stücke werden von Ostinato-Rhythmen grundiert, was der Musik, bei allem Weltschmerz, in diesen Momenten auch eine enervierende Unruhe verleiht. Gegen Ende gibt es noch eine hübsche Klavierversion des Themas, und unter den Quellenmusiken sticht vor allem ein wunderbar verspielter Tango hervor.

 

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  • 2 Monate später...

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Für Godards LE MEPRIS wurde für den italienischen Markt eine eigene Musik komponiert, was die interessante Möglichkeit bietet, beide Versionen miteinander zu vergleichen. Um es gleich vorweg zu sagen:  Mit Godard konnte ich nie viel anfangen, und auch LE MEPRIS macht da keine Ausnahme. Zweimal im Abstand von etwa zehn Jahren habe ich mich an diesem kunstgewerblichen Klassiker versucht, und beide Male mußte ich mich mit eisernem Willen hindurchkämpfen.

Die Handlung läßt sich kurz zusammenfassen:  Auf Capri soll ein Odysseus-Film entstehen. Es entstehen Spannungen zwischen dem Drehbuchautoren Paul Javal und dem amerikanischen Produzenten. Dies schlägt sich auch auf die Beziehung zwischen Javal und seiner Ehefrau Camille nieder, die sich zunehmend einander entfremden.

Symbolträchtig und erlesen bebildert Godard sein Ehedrama und reflektiert nebenher über das Filmemachen und die Kunst. Einen wesentlichen Anteil an der traumentrückten Atmosphäre haben auch die elegischen Streicherthemen von Delerue, die aber für meinen Geschmack viel zu oft und repetitiv eingesetzt werden. Gefühlt alle drei Minuten, sobald ein Dialog beendet ist, kleistert Godard wieder ein Delerue-Stück über die Bilder und umkreist dazu delirierend griechische Götterstatuen. Nun ja.

Ich kenne die Fassung mit Piccionis Musik nicht, aber es ist leicht erkennbar, dass der Film mit seiner Musik eine völlig andere Atmosphäre entwickelt hätte. Piccionis Themen sind jazzig und stilvoll, oft mit solistischen Orgelpassagen. Auch bei ihm gibt es entrückte, träumerische Stücke, wie beispielsweise in der wunderbaren Titelmusik. Aber dazwischen holt er uns immerwieder auf den Boden zurück. Piccionis Musik ist profaner, spielt in der Realität der Figuren. Delerue schwebt dagegen weit über dem Geschehen in irgendwelchen Sphären. Beide Herangehensweisen mögen auf die eine oder andere Art funktionieren. Welche davon die bessere ist, das mag jeder für sich selbst entscheiden. Mich wird auch eine Piccioni-Fassung nicht zum MEPRIS-Fan machen, aber als Album ist seine Musik eine feine, angenehme Bereicherung für die Sammlung.

 

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vor 2 Stunden schrieb Angus Gunn:

Mit Godard konnte ich nie viel anfangen, und auch LE MEPRIS macht da keine Ausnahme. Zweimal im Abstand von etwa zehn Jahren habe ich mich an diesem kunstgewerblichen Klassiker versucht, und beide Male mußte ich mich mit eisernem Willen hindurchkämpfen.

Witzig und überraschend: Das hätte ich jetzt nicht vermutet, daß Godard im Allgemeinen und LE MÉPRIS im Besonderen bei Dir gar nicht ankommen. Hinsichtlich LE MÉPRIS ist bei mir das genaue Gegenteil der Fall, denn der zählt seit Jahrzehnten zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Bei den Filmen für die einsame Insel wäre der bei mir mit im Gepäck dabei. :)
War für mich, als ich ihn mit 18 Jahren erstmals in einem Berliner Kino sah, eines der bewegendsten und prägendsten Kinoerlebnisse überhaupt.  Dieser Film hat mir damals eine ganz neue Welt eröffnet und es war zudem ein Schlüsselerlebnis hinsichtlich Delerue: Den Barclay-LP-Sampler mit den vier Tracks aus dem Score, den es in den 70ern gab, habe ich mir dann bei nächster Gelegenheit - nämlich ein paar Monate später, als wir mit der Schule in Paris waren - zugelegt. Und meine Begeisterung für Delerue ist eigentlich auch hauptsächlich von hier aus gegangen, sonst hätte mir der Zugang zum Komponisten eventuell noch für ein paar Jahre  gefehlt.
LE MÉPRIS habe ich sicherlich im Laufe der Jahrzehnte an die 10-12 mal gesehen und er fasziniert mich immer wieder, weil es ein echtes Kunstwerk ist, wo alles wie nur ganz selten miteinander aufs Allerschönste harmoniert: Bilder, Kamerabewegungen, Sprache und Musik interagieren wunderbar miteinander.
Man muß den Film natürlich unbedingt im französischen Original sehen, da ja auch ständig in mehreren Sprachen gesprochen wird, was den besonderen Reiz dieses Werks ausmacht. In der (etwas gekürzten) deutschen Synchronisation geht da schon mal ganz viel verloren, und die italienische Version interessiert mich schon deshalb überhaupt nicht, da hierbei gleich 20 Minuten geschnitten wurden und in dieser von Godard natürlich auch nicht autorisierten Fassung versucht wurde, alles in eine halbwegs chronologische Reihenfolge zu bringen. Der Witz an der Sache ist aber ohnehin, daß bei LE MÉPRIS gar nicht die Story an sich das Entscheidende ist,  denn es handelt sich ja überhaupt nicht um traditionelles Erzählkino, sondern es geht um das weitgespannte Netz von verschiedenen Ebenen, auf denen das Geschehen abläuft, von Brechungen, Spiegelungen und Assoziationen aller Art. Der Film ist ja unglaublich voll gerade mit Assoziationsräumen, was ihn für mich zu einem Hochgenuß macht.
Die sehr jazzige Piccioni-Musik mag ich autonom schon nicht besonders - sie ist so ein wenig ein Vorläufer von seinem Score für Elio Petris Science Fictioni-Persiflage LA DECIMA VITTIMA (wo das ganz gut funktioniert) mit dem ständigen Hammond Orgel-Einsatz -, aber im LE MÉPRIS-Film möchte ich das keinesfalls hören und das paßt da überhaupt nicht rein. Denn vor allem die so intensive und erhabene Delerue-Musik verleiht dem Film erst diese zusätzliche mythische Ebene, die absolut einmalig ist.

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vor 2 Stunden schrieb Stefan Schlegel:

 Hinsichtlich LE MÉPRIS ist bei mir das genaue Gegenteil der Fall, denn der zählt seit Jahrzehnten zu meinen absoluten Lieblingsfilmen.

Ja, ich weiß.:D Ich kann mich an einen ausführlichen Text erinnern, den Du mal in einem Printmagazin über LE MEPRIS verfaßt hattest. Leider fand und finde ich keinen Zugang zu den besagten Assoziationsräumen, obwohl ich sonst dem Arthouse-Kino aufgeschlossen gegenüberstehe. Zwischen Godard und mir stimmt die Chemie einfach nicht. Aber, wer weiß, bei seinem umfangreichen Filmwerk beschert mir der Zufall vielleicht eines Tages doch noch den Godard-Film, der mich zu begeistern vermag. Zumindest ALPHAVILLE war ja doch ganz OK.

vor 2 Stunden schrieb Stefan Schlegel:

Die sehr jazzige Piccioni-Musik mag ich autonom schon nicht besonders - sie ist so ein wenig ein Vorläufer von seinem Score für Elio Petris Science Fictioni-Persiflage LA DECIMA VITTIMA (wo das ganz gut funktioniert) mit dem ständigen Hammond Orgel-Einsatz

DISPREZZO ist aber doch wesentlich gediegener und als Ganzes auch eleganter, gerade in den träumerischen Stücken. Das mag ich schon ganz gern, im Gegensatz zu DECIMA VITTIMA, den ich viel ausgeflippter in Erinnerung habe. Das ist eine Seite von Piccioni, die mit tatsächlich nicht sonderlich gefällt.

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vor einer Stunde schrieb Angus Gunn:

Ja, ich weiß.:D Ich kann mich an einen ausführlichen Text erinnern, den Du mal in einem Printmagazin über LE MEPRIS verfaßt hattest. Leider fand und finde ich keinen Zugang zu den besagten Assoziationsräumen, obwohl ich sonst dem Arthouse-Kino aufgeschlossen gegenüberstehe. Zwischen Godard und mir stimmt die Chemie einfach nicht.

Ich weiß nicht, aber vielleicht hat man von Godard-Filmen - zumindest von den frühen aus den 60ern - mehr, wenn man die ganzen Hintergründe kennt: Das heißt, wie Godard, Truffaut, Rohmer oder Rivette mit ihren Texten in den Cahiers du Cinéma bereits in den 50ern für eine Art cinéastischer Revolution sorgten und erstmalig die Politik der Autoren durchsetzten, wie stark sie sich für Regisseure wie Rossellini, Renoir, Lang, Bresson oder Ophüls in Europa einsetzten oder das US-Kino eines Howard Hawks, Nicholas Ray oder Samuel Fuller für sich entdeckten und feierten. Dann natürlich auch die Beziehung zum geistigen Mentor André Bazin, die nicht immer ganz ungebrochen war. All das taucht ja mehr oder weniger in den Filmen wieder auf. Für Godard war das Filmen sozusagen nur eine Fortsetzung des Schreibens mit anderen Mitteln.
Allein dadurch - wenn man nur die ganzen offenkundigen oder auch ein wenig versteckten Rossellini-Zitate in LE MÉPRIS nimmt, und das sind einige - , bekommt man ja als Zuschauer am laufenden Band Querverweise und Assoziationen geboten, die das Gehirn ständig in Bewegung halten. Das macht zumindest mir unheimlich viel Spaß.
Man muß ja auch sehen: Der Film ist im Grunde eine Hommage an den von den Nouvelle Vague-Autoren so verehrten Fritz Lang und eine klare Verteidigung des Autoren-Kinos gegenüber der kommerziellen Produzenten-Maschinerie. Die Querelen, die Godard mit seinen Produzenten Carlo Ponti und Joseph E. Levine während der ganzen Dreharbeiten gehabt hat, hat er äußerst trickreich in den Film selbst hineinverlegt. Das ist genial.
Ich finde z.B. die eine Szene im KInosaal göttlich: Ausgerechnet Fritz Lang spricht gegenüber Brigitte Bardot - also sozusagen der anderen B.B. - das Brecht-Zitat aus: "Täglich gehe ich auf den Markt, wo Lügen verkauft werden, um mein Brot zu verdienen." Dazu muß man natürlich wissen, daß Lang und Brecht in Hollywood 1943 bei HANGMEN ALSO DIE zusammengearbeitet haben, wo es zum Bruch kam, weil Brecht fand, daß sein ursprüngliches Drehbuch von Lang verwässert worden sei.
Oder wenn Lang dann plötzlich Hölderlin in Deutsch zitiert und Jack Palance danach in Wut ausbricht. Das ist alles so wunderbar in Szene gesetzt. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Ich habe das mit 18 so empfunden und empfinde es auch heute noch so.

vor einer Stunde schrieb Angus Gunn:

DISPREZZO ist aber doch wesentlich gediegener und als Ganzes auch eleganter, gerade in den träumerischen Stücken.

Aber es gibt in der Art viel elegantere Jazz-Scores von Piccioni wie etwa I DOLCI INGANNI oder ADUA E LE COMPAGNE - die liegen mir deutlich mehr.

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vor einer Stunde schrieb Stefan Schlegel:

Ich weiß nicht, aber vielleicht hat man von Godard-Filmen - zumindest von den frühen aus den 60ern - mehr, wenn man die ganzen Hintergründe kennt

Das mag sein, aber ein Film sollte auch erstmal ohne großes Vorwissen für sich alleine funktionieren. Und diese ganzen Querverweise und Verflechtungen - das ist in der Tat interessant zu wissen, aber als Godard diesen Film inszeniert hat, muß ihm bewußt gewesen sein, dass diese Dinge nur von einer handvoll Cineasten und Künsterkollegen zu durchschauen sind. Selbst die Rossellini-Zitate sind an mir unbemerkt vorbeigelaufen, dabei schätze ich Rossellini sehr. Wo wäre denn beispielsweise ein solches Zitat zu finden?

vor einer Stunde schrieb Stefan Schlegel:

Ich habe das mit 18 so empfunden und empfinde es auch heute noch so.

Das finde ich allerdings erstaunlich. Mit 18 war ich noch lange nicht soweit, in solche cineastischen Tiefen vorzudringen. Respekt.

 

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vor einer Stunde schrieb Angus Gunn:

Das mag sein, aber ein Film sollte auch erstmal ohne großes Vorwissen für sich alleine funktionieren. Und diese ganzen Querverweise und Verflechtungen - das ist in der Tat interessant zu wissen, aber als Godard diesen Film inszeniert hat, muß ihm bewußt gewesen sein, dass diese Dinge nur von einer handvoll Cineasten und Künsterkollegen zu durchschauen sind. Selbst die Rossellini-Zitate sind an mir unbemerkt vorbeigelaufen, dabei schätze ich Rossellini sehr. Wo wäre denn beispielsweise ein solches Zitat zu finden?

So hat aber Godard eben seine Filme gemacht und meistens wenig darauf geachtet, was die Masse haben wollte. Natürlich ist auch mal ein großer Erfolg wie AUSSER ATEM dabei herausgesprungen, der durch seine Frische und Neuartigkeit gerade den Nerv der Zeit traf, aber ansonsten hat er auch so einige kommerzielle Flops fabriziert.
Vielleicht nicht alle, aber doch recht viele der Zitate in LE MÉPRIS waren mir schon bewußt, als ich den Film mit 18 gesehen habe, aber auch ohne das ganze Vorwissen meine ich, daß man den Film aufgrund der Eleganz seines Stils, der geradezu im Rhythmus eines Balletts mit Vor- und Rückblenden umgeht, der feinen Abstimmung etwa zwischen Kamerafahrten und Musik und der einfach tollen Bildästhetik voll genießen kann. Sicher mag es Leute geben, die mit den typisch Godardschen Verfremdungseffekten und formalen Brüchen nicht klar kommen, aber ich hatte damit so gut wie nie Probleme gehabt..

Was nun die Rossellini-Zitate in LE MÉPRIS betrift, so beziehen sie sich zu einem Gutteil auf VIAGGIO IN ITALIA von 1953 und das hat natürlich auch seinen Grund:
Das Kino, in dem Fritz Lang Brecht zitiert, hat ja außen in großer Leuchtschrift Rossellini´s VIAGGIO IN ITALIA angekündigt. Das ist selbstverständlich alles andere als ein Zufall. Rossellini war der große Lehrmeister der Nouvelle Vague-Regisseure, und für sie als frühere Cahiers du Cinéma-Kritiker war VIAGGIO der Schlüsselfilm des modernen Kinos, über den in den 50ern ein ganzes Dutzend von Analysen veröffentlicht wurde. In VIAGGIO geht es zudem um die Entfremdung eines Ehepaares (George Sanders und Ingrid Bergman), die auf Urlaub in Neapel und Capri sind - also eine weitere sowohl lokale wie inhaltliche Parallele zu LE MÉPRIS, denn die Unfähigkeit des Paares Bardot/Piccoli, noch Liebe füreinander empfinden zu können, verweist ganz klar zurück auf den Rossellini-Film.
Die immer wieder eingeblendeten Götterstatuen tauchen ein wenig auch schon in VIAGGIO IN ITALIA auf, wenn Ingrid Bergman im Museum in Neapel vor solchen antiken Statuene zurückschreckt und  man diese dann immer im Gegenschuß zu den Einstellungen von ihrem Gesicht sieht.
Auch der Name der von Georgia Moll gespielten Sekretärin Francesca Vanini hat mit Rossellini zu tun und ist eine Anspielung auf Rossellini`s VANINA VANINI von 1961, den Godard damals innigst liebte. Nicht umsonst sieht man auch das große Plakat von VANINA VANINI im ersten Drittel des Films neben dem von Hawks' HATARI im Hintergrund an einer großen Littfaßsäule hängen.
Das hat alles seinen Sinn und bezieht sich selbstverständlich alles aufeinander.
 
vor einer Stunde schrieb Angus Gunn:

Das finde ich allerdings erstaunlich. Mit 18 war ich noch lange nicht soweit, in solche cineastischen Tiefen vorzudringen. Respekt.

Mit 18 wußte ich eigentlich schon sehr viel über Filmgeschichte und Regisseure. Das hat bei mir aber auch den besonderen Grund, den es bei ganz wenigen Personen in der Art geben dürfte, daß ich eben von Kind an beides im gleichen Maße kennengelernt hatte: Film als Kommerz und Film als Kunst. Über das familienbetriebene Kino bekam ich natürlich alle aktuellen und kommerziell erfolgreichen Filme in den frühen 70ern mit und wußte stets, was beim Publikum ankam und was nicht,, während mein zweiter Onkel, der ein paar Jahre auch in Paris lebte, eine Zeitlang in den 60ern den Filmclub hier geleitet hatte, wo speziell das anspruchsvolle Autorenkino und das, was in der damals angesagten intellektuellen Zeitschrift "Filmkritik" hochgelobt wurde, gespielt wurde. Er hatte aus Frankreich viele Filmbücher mitgebracht, vor  allem viele Monografien über Regisseure, aber hatte natürlich auch deutsche Standardwerke wie z.B. Geschichte des Films von Gregor/Patalas und vieles andere. In all diesen Büchern habe ich schon mit rund 10 oder 11 Jahren voller Enthusiasmus zu stöbern begonnen und mich dann auch - was sicher sehr ungewöhnlich ist - sehr früh (so ca. mit 12 Jahren) hauptsächlich für bedeutende Regisseure und deren Werk interessiert. Und vor allem haben mich in der Zeit dann die alten Filmklassiker begeistert, während mich die typischen neuen 70er Filme damals bis auf einige Ausnahmen eher weniger angesprochen haben. Daher hatte ich auch in der Filmmusik schon sehr früh diesen Bezug zum Golden Age, weil ich mir im Fernsehen überwiegend die älteren Filme aus den 40ern, 50ern und 60ern anschaute. All die Regisseursnamen, die in LE MÉPRIS so zitiert werden, waren mir daher mit 18 schon längst alle ein Begriff.

 

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Danke für den Link. Das ist ja unglaublich, was der da in dem Film findet. Ein oder zwei der im Text beschriebenen Assoziationen hatte ich beim Film zwar auch, aber Schmid wühlt dann ja stets noch tiefer. Aber welche Bedeutung die Farbe des Pullis hat, den dieser und jener Schauspieler gerade trägt, als er an diesem oder jenem Filmplakat vorbeigeht... soweit geht mein Interesse dann doch nicht. Ungeachtet seiner Vielschichtigkeit bleibt LE MEPRIS für mich ein ziemlich unverdaulicher Brocken.

 

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Ich danke auch noch für den Link, Mephisto. Schade, daß Schmid seinen umfangreichen Text nicht ganz zu  Ende geschrieben hat, denn der dritte Teil, in dem er wohl hauptsächlich noch auf das letzte Drittel  vom Film eingegangen wäre, scheint ja wenn ich das richtig sehe nunmehr seit 2018 zu fehlen. Oder gibt es das irgendwo anders noch nachzulesen?
Es ist natürlich schon eine äußerst detailreiche Analyse, was manchem des Guten zuviel sein wird, die ich aber schon sehr interessant fand, da sie halt fast alles nochmals in einem Aufwasch zusammenfasst, was in all den Jahrzehnten von den unterschiedlichsten Filmkritikern bereits über Godards Werk geschrieben worden ist. Und das ist eben eine ganze Menge. Schmid bringt ja auch einiges von dem mit ein, was ich weiter oben bereits so alles angedeutet hatte und führt es noch weiter aus. Er hat sich da schon ganz intensiv mit jeder Szene des Films beschäftigt, und mir bereitet es durchaus Spaß, seine kenntnisreichen Ausführungen zu lesen. Und meines Erachtens hat er in vielem Recht, denn LE MÉPRIS ist nun mal so vielschichtig, daß man bei jedem Sehen nochmal was Neues entdecken kann.

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Also der dritte Teil endet mit dem Kapitel "Tödlicher Verkehr" und ist hier abrufbar. https://www.heise.de/tp/features/In-Neptuns-Reich-Godard-Odysseus-und-die-Goetter-der-Filmwelt-4130913.html

Ich persönlich finde Schmid fantastisch, weil er sehr anschaulich schreibt, ohne Dünkel und stets "auf Augenhöhe", obwohl er sich unglaublich tief in die besprochenen Filme einarbeitet. So sollte Kulturwissenschaft ihre Erkenntnisse stets zugänglich machen.

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@ Mephisto: Hast Du denn LE MÉPRIS inzwischen auch mal gesehen? Der Text von Schmid müßte ja eigentlich auch Außenstehende und Nicht-Eingeweihte total neugierig auf den Film machen so enthusiastisch wie er geschrieben ist, oder?
Vielen Dank jedenfalls auch noch für den LInk zum dritten Teil "In Neptuns Reich", den ich jetzt auch noch gelesen habe. Ich finde den den gelungensten von allen dreien und dabei übertrifft sich Schmid wirklich selbst. Das ist absolut toll geschrieben, vor allem wie großartig er Godards Brüche, Fragmentierungen und Verfremdungseffekte herausarbeitet und wie der Zuschauer im Film ständig zur Reflexion anstatt zum reinen Kosumieren angehalten wird. Alles, was er da schreibt, spiegelt ganz genau meine Sichtweise. Und manche Sätze muß man sich echt auf der Zunge zergehen lasen, weil sie so unglaublich zutreffend sind. 

Die ganzen Verweise und Spiegelungen, von denen ich ja einige oben bereits angesprochen hatte, werden im Detail ausgeleuchtet. Für mich mit die hervorragendste Exegese des Films, die ich bislang gelesen habe.
Die Referenzen an Rossellini und VIAGGIO IN ITALIA kommen übrigens auch noch sehr schön zum Zuge jetzt im dritten Teil. Vielleicht sollte sich das Angus auch nochmals näher durchlesen im Kapitel "Durch die Bresche oder Sterben". Schmid sieht das genauso wie ich, daß der Einfluß von VIAGGIO auf Godard und speziell auf LE MÉPRIS immens war und er spricht natürlich auch die antiken Statuen an, die man bei VIAGGIO schon ganz ähnlich sieht: "erhellend ist ein Vergleich mit den Statuen in LE MÉPRIS".
Und selbstverständlich gehe ich auch mit Schmids Urteil zu Delerues hinreißender Filmmusik absolut konform:
"Georges Delerues hemmungslos romantische und abgrundtief traurige Liebeselegie für LE MÉPRIS ist mit das Schönste, das er je komponiert hat."

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