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LE PETIT GARCON - Philippe Sarde


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LE PETIT GARCON - Philippe Sarde

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Label: Auvidis Travelling

Veröffentlichung: 1995

1. L'éveil

2. Le bonheur

3. Avant guerre

4. Les soldats

5. Le petit garcon

6. Le bal du maréchal

7. La guerre à 9 ans

Laufzeit: 41 Minuten und 18 Sekunden

LE PETIT GARCON Ein Film des französischen Regisseurs Pierre Granier-Deferre, der durch eine ungewöhnliche Handlung die Kinobesucher und Romanleser von THE BOY IN THE STRIPED PYJAMAS (im amerikanischen Film PAJAMAS) sicherlich zum Interesse seines Streifens aus dem Jahre 1995 neigen wird: Im Zweiten Weltkrieg veranlasst eine französische Familie einer Jüdischen Unterschlupf in ihrem Haus. Unglücklicherweise ist das Territorium, in der sich die Familien befinden, von Nazi-Soldaten besetzt. Als die französische Familie dazu aufgefordert wird, einen deutschen General ihr Haus zu bewohnen, ringt sie sich um ein Katz- und Mausspiel, da sich durch dieses Unterfangen die Situation der jüdischen Familie regelrecht verschlechtert. Anstatt dieses Desaster als Grundstein des filmischen Geschehens zu lenken, wird der Ablauf zentral auf den Sohn der französischen Familie Francois abgedreht, der sich mit der Tochter der jüdischen Familie angefreundet hat.

Um dem Film eine musikalische Untermalung zu bieten, die sich an Atmosphäre, sowie Versiertheit der orchestralen Sprache erheitert, wurde der Franzose Philippe Sarde an den Pult gerufen, der schon erfolgreiche Filme wie den berüchtigten Steinzeitfilmklassiker QUEST FOR FIRE vertonte. Um Sarde-Kenner, die seine populären Scores schätzen, nicht dem Irrtum zu überlassen, eine kleine Warnung vorher: Wer einen stravinskylastigen, spannenden und großorchestralen Sarde wie QUEST FOR FIRE ebenda, LOURS (THE BEAR) oder LORD OF THE FLIES erwartet, wird von einem zarten, zurückhaltenden und kleinlieblichen Score überrascht. So, wie der Film die Freundschaft des jungen Francois mit dem jüdischen Mädchen kombiniert, so wird auch die Welt musikalisch mit den Augen des Jungen interpretatorisch dechiffriert. Außer ein paar dynamischen und attackierenden Passagen ist der Score stilistisch wie ein komplettes Doppelkonzert im Andante-Rausch aufgebaut: Herrliche Violinsoli mit Vibratospiel bestückt und virtuose Klavierraffinesse im klanglichen Idiom der russischen Musikkultur gehalten, begleiten den getragen Klang des Orchesters, der sich an die britische Klangsprache orientiert.

Gerade zum Anfang des Albums dominiert die ausgefeilte Technik dieser interessanten Interpretationskunst. Mal übernehmen beide Musikinstrumente ihren Auftakt, andermal übergibt ein einzelnes Instrument den Part. Hin und wieder lässt sich Sarde von Ralph Vaughan Williams FANTASIA ON A THEME BY THOMAS TALLIS inspirieren und setzt sie zielgerichtet in dem Höralbum ein. Da die Welt des Jungen ganz anders gesehen wird als die eines Erwachsenen, setzt Sarde sinnliche Ziele, in dem die Orchestrierung weniger großorchestral, denn kammermusikalisch agiert. Das Orchesterspiel entwickelt sich zu einer Phase, in dem man jegliche Klangfarben verspielt wahrnehmen und zu einem Heranwachsenden anmuten kann. Auch die leichten Andeutungen der TALLIS-Fantasia im Staccato-Rhythmus projizieren dadurch ein ganz anderes Bild. Die Themen, die sehr innovativ gestrickt sind, stimmen sich sehr ausgewogen und präzise auf die Komposition ein.

Im Mittelteil "Track 3: Avant guerre" wird man zu einem festlichen Tanz in der verruchten Zeit der 40er Jahre eingeladen. Der Zeitgeist dieses Stückes überwiegt soweit, dass Sarde auf pointierter Art Anlehnungen zu Glenn Miller favorisiert. Sehr leichter Jazz-Beat mit tänzerischen - und durch das Saxophon verstärkt sexy Charakter. Es ist, als würde man die alten Bars und Tanzclubs des von Deutschland besetzten Frankreichs besuchen. Nach diesem kleinen Repertoirewechsel, verführt Sarde den Hörer wieder in das orchestrale Muster zurück und es setzen klangliche Akkorde ein, die den Score zu einem dynamischen Wechsel zwischen Spannungserzeugung und Sinfonik ermutigen.

Nach dem Spektakel kehrt in der musikalischen Ebene Ruhe ein und das Doppelkonzert nimmt seinen Lauf. Erst der vorletzte Track Le bal du maréchal greift auf das Konstrukt eines Walzer zurück, der mit einem Akkordion und einem Pfiff Swing das Klischee des französisch-romantischen Abends beleuchtet. Der Walzer ist höralbumstechnisch als Eingangstanz zum "Track 7: La guerre à 9 ans" dienlich, dem 25 Minuten die Ehre gebührt. Hier werden repriseartig die vorhergegangen Ideen, wie die umpositionierte TALLIS-Fantasia, das Duo der Soloinstrumente und die attackierenden Passagen in einem anderen Licht erblickt. Die gesamten Themen, die als Versatzstücke auf jedem symphonisch konstruierten Track verstreut waren, werden zusammengefügt und vollkommen ausgefahren, um die Welt des kleinen Jungen vollends zu erschließen.

Das sind die löblichen und schönen Bestandteile des "Kleinen Jungen"-Scores, aber es gibt leider auch eine Kehrseite der Medaille: Es fehlt dem Score an sich an Variation. Schematisch werden gewisse Szenen angesetzt, aber oftmals nie richtig zur Heranfruchtung beigetragen, so dass nicht viel bei der Musik hängen bleibt und dem orchestralen Aufguss die korrekte Themenaufbereitung missfällt. Nach einem kleinen Einhörerlebnis ist die Musik rasant zum kleinen Betrübnis übergelaufen, die ansatzweise Langweile oder Überlegungen zur gedankenspezifischen Berichtigung hervorrufen. Auch die radikalen Abbrüche zu den jazzigen Einlagen geben im Gesamtkontext eine Hörflussminderung im kleinsinfonischen Klangkonzept.

Die Bewertungsklasse könnte durchaus bei 8,5 bis 9 Punkte ausfallen, doch die mangelnde Themenverarbeitung verzerrt das Gesamtbild sehr und dezimiert den Bewertungsparameter auf 7,5 Punkten.

Die CD, die 1995 unter dem kuriosen Labelnamen "Auvidis Travelling" erschien, ist zwar out of print und selten, aber nicht so einem großen Raritätsfaktor ausgelegt, so dass man bequem bei Drittanbietern wie z.B. dem Auktionshaus eBay eine neuwertige oder versiegelte Kopie dieses Scores zum Kauf raten kann. Wie so oft arbeitet Philippe Sarde mit dem London Symphony Orchestra zusammen, um seine Scores dem Glanze eines Weltklasseorchesters zu präsentieren so es ist es auch hier geschehen, wo Harry Rabinowitz, der Direktor des LSO, das Dirigat von LE PETIT GARCON übernimmt.

Bearbeitet von Marcus Stöhr
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